Llibre Vermell de Montserrat / Hespèrion XX
Deutsche Kommentar | English liner notes










Die Musik im Katalonien der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts

Südlich der Pyrenäen gelegen, ans Mittelmeer reichend und im Westen an Kastilien und Navarra grenzend, war das alte Königreich Aragón Ort der Begegnung verschiedener Kulturen. Das Königreich erblickte das Licht der Geschichte im Jahre 1137 infolge der Heirat zwischen dem Grafen von Barcelona, Ramón Berenguer IV, und Doña Petronila, Tochter Ramiros II. von Aragón. Dank seiner bevorzugten geographischen Lage gelangten das ganze Mittelalter hindurch von überall her die bedeutendsten künstlerischen Strömungen hierher. Diese verbanden sich mit der eigenen bodenständigen Kunst des Landes, welche damals — nicht zu vergessen — Tag und Tag und Stack und Stack seine Gebiete von den Arabern, die es in früheren Zeiten besetzt hatten, zurückeroberte. Die Verbindung von europäischem Einfluß mit einheimischer Kunst und Kultur brachte im 14.Jahrhundert eine bedeutende kulturelle Frührenaissance hervor. Mittelpunkt dieser kulturellen Blüte war vor allem Katalonien, der ehemalige territoriale Besitz der Grafen von Barcelona. Und obwohl es mehrere Ausstrahlungspunkte gab, kam in jener Epoche einem ein ganz besonderer Rang zu: dem Hofe. Die Grafen-Könige von Katalonien und Aragón waren während des gesamten 14. Jahrhunderts, insbesondere jedoch in der zweiten Hälfte, alis großzügige Mäzene bekannt. Angefangen bei Jakob II, (1291-1327) bis hin zu Martin I., der „Menschliche" genannt (1396-1410), zog das katalanisch-aragonesische Königshaus einige der in der damaligen Zeit hervorragendsten Männer aus Wissenschaft und Künsten an sich; dazu gehörten auch bekannte Musiker, und zwar sowohl darbietende (aufführende) als auch selbst komponierende Künstler, oder solche, die beides zugleich taten.

Musik war für den mittelalterlichen Adel stets Erquickung und Ergötzung. Es ist bekannt, daß seit ältester Zeit Könige, Herzöge, Grafen und im allgemeinen jeder, der sich diesen Luxus leisten konnte, in seinem Haus mehrere Spielleute mit dem Ziel unterhielt, sich während der Freizeit an deren Klangen zu erfreuen. Anfänglich wurden diese Jongleure, später dann Ministerialen genannt.1) In der zweiten Hälfte des 14.Jahrhunderts kommt sowohl wegen ihrer Zahl als auch wegen ihrer Bedeutung den Spielleuten im Dienste des königlichen Hauses von Aragón ganz besondere Bedeutung zu. Wir finden hier zusammen mit den örtlichen Musikanten eine große Anzahl von Spielleuten ausländischer Herkunft, vor allem Italiener wie z. B. Pere d'Arezzo, Baldo de Florença oder Jacopo da Bologna, und etwas später dann Franzosen, Flamen und Deutsche wie Thibaut de Vallraynes, Johani de Sent Luch, Jacomi Capeta, Hohan Estrumant, Jaquet de Noyo, Midach und zahlreiche weitere Spielleute im Dienste Johannes I. (1387-1396). Sie alle hatten einen großen Namen, ihre Darbietungen gehörten wohl zur Avantgarde der künstlerisch-musikalischen Strömungen der Epoche, und sie trugen so dazu bei, daß der königliche Hof von Aragón zu einem der wichtigsten Ausstrahlungspunkte der musikalischen Bewegung wurde, die unter dem Namen „Ars Nova" bekannt ist.

Aber nicht nur Spielleute und Ministerialen trugen dazu bei, daß sich dort dieses bedeutende Musikzentrum herausbildete, sondern auch die Musiker und Komponisten an den verschiedenen Kirchen des köiniglichen Hofes. Fast alle entstammten den Musikschulen von Avignon, dem päpstlichen Sitz und berühmten Mittelpunkt der religiösen Musik in jenen Tagen; aus ihrer Mitte seien Namen hervorgehoben wie Steve de Sort, Bonifaci de Xartres, Nicolau de Mallines, Johan Flamench, Jehan Robert alias Trebor oder Gacian Reyneau. Die beiden letzteren waren beispielsweise auch geübte Komponisten profaner Musik.

Es ist bekannt, daß Johannes I., veranlaßt durch die guten Darbietungen seiner Kirchenmusiker, eines Tages versuchte, ihnen nachzueifern. Mit ihrer Hilfe, so bekennt er selbst in einem Brief, habe er »I rondó con su tenor, contra- tenor y canto correspondientes« (Rondeaux, Ringelgedicht, Rundreim mit ihnen entsprechendem Tenor, Gegentenor und Gesang) komponiert, und er zeigt sich geneigt, dasselbe mit jedem beliebigen Virelai, Rondeau oder jeder Ballade in französischer Sprache zu tun, die man ihm zur Vertonung vorschlagen würde. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der französische Einfluß auf den katalanischen Hof während des gesamten Mittelalters stets gegenwärtig war, weswegen sich jedoch seine Musik als nicht minder außergewöhnlich erweisen sollte.

Es ist einleuchtend, daß von diesem künstlerisch-musikalischen Klima bei Hofe, wo während der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts die wichtigsten musikalischen Strömungen der französischen Ars Nova sowohl profaner als auch religiöser Natur zusammentrafen, alle bedeutenden musikalischen Zentren des Königsreiches profitierten, zumindest jene, welche in unmittelbarer Weise mit dem Hofe verbunden waren. Nur unter Berücksichtigung dieser musikalisch hoch interessierten Kreise und angesichts der Bedeutung, welche die Realisierung der Ars Nova in der genannten Zeit erlangte, können wir uns teilweise die Tatsache erklären, daß in Katalonien eine in ihrer Art so einzigartige Handschrift existiert, wie es das Llibre Vermell (Rotes Buch) von Montserrat ist.


Das Kloster Montserrat

Während des Mittelalters wurden in ganz Europa Wallfahrtsorte nicht selten dort gegründet, wo die Überreste eines Heiligen oder eines Apostels ruhten, oder dort, wo der Überlieferung nach die Jungfrau Maria, deren Bild man verehrte, ein Wunder gewirkt haben sollte. An solchen Orten errichtete man unfehlbar ein Gotteshaus, und nicht weit davon konnte sogar ein Kloster gegründet werden, welches mit der sorgfältigen Pflege und Bewachung des geheiligten Fleckens betraut war und gleichzeitig dessen Schutz unterstand.

In Spanien gab es vor allem zwei berühmte Wallfahrtsorte: einer war Santiago de Compostela, wohin Pilger aus ganz Europa ihre Schritte lenkten, und das Grab des Apostels Jakob zu besuchen, und der andere Montserrat, ein eher auf örtliche Pilger beschrankter Wallfahrtsort, der jedoch seit sehr alter Zeit zum Mittelpunkt der Marienverehrung ganz Kataloniens geworden war. Es gibt Hinweise darauf, daß bereits Ende des 9.Jahrhunderts in Montserrat eine Kapelle bestand, in der die Heilige Jungfrau Maria verehrt wurde, und daß in der gleichen Epoche verschiedene Einsiedler in dem Berg ihre Behausung hatten. Dagegen ist das Marienbild von Montserrat, welches heute verehrt wird, eine wunderbare romanische Schnitzarbeit aus dem Ende des 12.Jahrhunderts oder Anfang des 13. Jahrhunderts.

Die Gründung eines kleinen Klosters an jenem Ort stammt ungefähr aus dem Jahre 1027. Dieses hing ursprünglich vom Kloster von Ripoll ab, erlangte jedoch mit der Zeit Ruhm und dehnte sich weiter aus, bis es sich anscheinend bereits am Ausgang des Mittelalters, als die Wallfahrten zu diesem Ort immer mehr zunahmen, zu einem der bedeutendsten kulturellen Zentren ganz Kataloniens entwickelte. Nachrichten über die ersten Jahrhunderte des Bestehens des Klosters von Montserrat sind sehr spärlich; dies ist vor allem auf den unglücklichen Zustand zurückzuführen, daß seine äußerst wertvolle Bibliothek und das Archiv im Jahre 1811 infolge des napoleonischen Einfalls verbrannten. Es gibt daher nicht gerade viele mittelalterliche Handschriften aus dem 'scriptorium' (Schreibsaal) von Montserrat, die auf uns gekommen sind, was den Wert und die Bedeutung der wenigen vorhandenen nur noch steigert, und dies insbesondere dann, wenn einige den Rang und die Bedeutung des Llibre Vermell haben.

Die Mönche von Montserrat waren immer sehr gebildete Männer. Erinnern wir uns, wie bereits zuvor vermerkt, an deren ursprüngliche Abhängigkeit vom Benediktinerkloster von Ripoll; dank der Initiative eines seiner berühmtesten Abte, Oliva (1023-1046), wurde Montserrat gegründet und seine ursprüngliche klösterliche Gemeinschaft entstammt dem Kloster von Ripoll. Ripoll war in jener Epoche für Katalonien etwa das, was Saint-Martial de Limoges für Frankreich oder Sankt Gallen für die Schweiz waren; es war in jenen Tagen das bedeutendste Zentrum religiöser Kultur in Katalonien. Ripoll stand in ständiger Verbindung mit den Klöstern jenseits der Pyrenäen, und in Ripoll entfalteten sich bedeutende Schulen zu voller Blüte. Hervorzuheben wäre vielleicht die Musikschule, von deren Bedeutung uns die Tatsache Aufschlug gibt, daß diese sogar ein eigenes musikalisches Notensystem erfand.

Montserrat war also seit seiner Gründung als Tochtergemeinde von Ripoll ein kleines Kulturzentrum, welches, nachdem es der Vormundschaft durch das Mutterhaus (Jahr 1409) entwachsen war, dieses überlebte und weiterhin in der übernommenen Tradition verblieb. Aufgrund dieser Umstände überrascht keinesfalls die Existenz eines „scriptorium" in Montserrat, auf welches wir zuvor Bezug nahmen, und noch viel weniger der Tatbestand, daß dort sowohl Originalwerke wie auch Abschriften von Texten höchsten Interesses entstanden. Obwohl die Nachrichten aus dem 14. Jahrhundert stammen, weiß man, daß einige Mönche an weit entfernt liegenden Orten studierten; einige betrieben allgemeine Studien innerhalb der Grenzen des Königreiches, z. B. in Lérida, Perpignan, Montpellier oder Barcelona, andere in den Klosterschulen des Benediktinerordens und andere wahrscheinlich auch in weit entfernten Universitäten wie Paris und Bologna.

Außerdem wurde der kleine intellektuelle Kreis von Montserrat seit dem 12. Jahrhundert verstärkt durch die bemerkenswerte Anwesenheit einer Reihe von Priestern auf dem heiligen Berg, von denen ein jeder mit einer adeligen, zumeist katalanischen Familie verbunden war; Aufgabe dieser Priester war es, Vertreter der jeweiligen Familie bei der Madonna zu sein, an deren Altar täglich Messen im Namen und zugunsten der Herrschaft gefeiert wurden. Viele dieser Priester waren gebildete Leute, und obwohl sie nicht Teil der kleinen klösterlichen Gemeinschaft waren, trug das enge Zusammenleben dazu bei, daß ein ständiger Austausch bestand.


Das „Llibre Vermell"

Der kostbarste Kodex aller in der derzeitigen Bibliothek von Montserrat aufbewahrten Handschriften ist ohne Zweifel deren berühmte Handschrift Nr.1, bekannter unter dem Namen Llibre Vermell. Es wurde gegen Ende des 14. Jahrhunderts, oder vielleicht zu Beginn des 15. Jahrhunderts, kopiert. Der Name ist auf den Einband aus rotem Samt zurückzuführen, welcher im letzten Dritte! des 19. Jahrhunderts dafür angefertigt wurde. Ursprünglich soll der Kodex einen Umfang von annähernd 172 Blatt (Folioformat) gehabt haben, von denen derzeit nur noch 137 erhalten sind. Wie in dem Fall vieler mittelalterlicher Kodices ist sein Inhalt ganz unterschiedlicher Natur, wobei einer der Doppelbögen besonders hervorgehoben zu werden verdient, nämlich Folio 21 verso 27, wo zehn musikalische Werke eines unbekannten Autors verzeichnet sind. Vor dem teilweisen Verlust des Kodex war deren Anzahl größer.

Diese Werke verfolgen eine vom Kopisten dieser Handschrift sorgfältig vermerkte und deutliche Absicht, die er im Anschlug an das erste der heute noch erhaltenen Lieder zum Ausdruck bringt. Dort heißt es: „Da die Pilger manchmal, wenn sie in der Kirche der Jungfrau Maria von Montserrat die Nachtwache halten, den Wunsch haben, zu singen und zu tanzen, und dies auch während des Tages auf dem Kirchplatz zu tun wünschen, und dort nur ehrenhafte und fromme Lieder gesungen werden dürfen, so werden nun einige angemessene Gesänge vor und nach diesem Hinweis aufgeschrieben. Sie sollen in anständiger Weise und maßvoll verwendet werden, damit diejenigen nicht gestört werden, die ihre frommen Gebete und frommen Betrachtungen fortsetzen, denen sich im übrigen alle während des Nachtgebets in frommer Haltung zu widmen haben." Einige Seiten weiter wird den Pilgern von Montserrat auch empfohlen, daß sie „sowohl auf dem Wege, während ihres Aufenthaltes dort und auf dem Heimweg in zurückhaltender Weise reden und leichtfertige Lieder und unanständige Tänze unterlassen".

Das Repertoire des Llibre Vermell entspringt demnach der Absicht, den guten Leuten, welche als Pilger zum Altar der Jungfrau traten, einige dem Ort angemessene Lieder bereitzustellen, die zeitweilig all jene anderen ersetzen sollten, die der volkstümlichen Tradition entstammten. Wir vermerkten bereits, daß das 14.Jahrhundert eines der wichtigsten Jahrhunderte hinsichtlich der Anzahl der Pilger war, die Montserrat besuchten. Man darf also annehmen, daß das Repertoire an Marienliedern, welches damals gesungen und zu dem getanzt wurde, weiteste Verbreitung unter den Leuten erfuhr. Der Zeitpunkt, zu dem diese Lieder von Montserrat Eingang in den Kodex gefunden haben, wird zwischen 1398 und 1399 angesetzt. In diesem letzteren Jahr wurde die Abschrift beendet. Man nimmt jedoch an, daß die Lieder — wenn auch nicht alle, so doch die meisten — bereits früher entstanden sind und daß sie nur aufgezeichnet wurden. weil ihre Bedeutung sowohl hinsichtlich des Textes als auch der Melodie durch die Tradition bestätigt worden war.

Die verschiedenen Kompositionen des Llibre Vermell sind keineswegs einheitlich. Sie weisen vielmehr bemerkenswerte Unterschiede auf, was — so man will — ihr Interesse noch steigert. Hinsichtlich der Noten weisen alle Lieder mit Ausnahme der Komposition O virgo splendens, welche derzeit als erste des Kodex erscheint und in quadratischen Noten des gregorianischen Typs geschrieben ist, die der französischen Ars Nova eigene Notenschreibung auf und folgen damit den Kriterien, die in die Notenschreibung von Philippe de Vitry um 1320 eingeführt wurden; dennoch zeigen fünf Kompositionen, und zwar Stella splendens, Los set goyts, Cuncti simus, Polorum regina und Ad mortem festinamus einige Merkmale im Schriftbild auf, deren praktische Auswirkungen jedoch, soweit man bis heute darüber informiert ist, in keiner Weise von denen der Ars Nova von Vitry abweichen.

Formal gesehen sind die Hälfte der Kompositionen Virelais. Die Form besteht grundsätzlich im Wechsel zweier musikalischer Zeilen, von denen einer, der Refrain, zweimal wiederholt wird, das erste Mal mit dem Text der entsprechenden Strophe und das zweite Mal mit dem ihm eigenen Text.2) Die Werke, die diesem Aufbau folgen, sind: Stella splendens, Cuncti simus, Polorum regina, Mariam matrem und Ad mortem festinamus.

Die Lieder O virgo splendens, Laudemus virginem und Splendens ceptigera weisen, wie die Handschrift selber vermerkt, die Form des zwei- oder dreistimmigen Gesangs auf. Diese Kanons können zwei- oder dreistimmig gesungen werden, oder — anders formuliert — es handelt sich um eine Melodie, die sich auf sich selbst wiederholt, deren Anfange jedoch zu unterschiedlichen Zeitpunkten einsetzen. Bei dem Lied Los set goyts handelt es sich um eine Ballade, die gewisse Übereinstimmungen mit der gleichnamigen Form der italienischen Ars Nova aufweist. Als letztes Lied wäre Imperayritz zu erwähnen, ein Motet,3) im französischen Stil, wiewohl ihm der für diese Liedform charakteristische Tenor fehlt.

Die Anzahl der Stimmen, für die diese Kompositionen geschrieben wurden, schwankt zwischen einer und dreien, wobei zu berücksichtigen ist, daß die drei Kanons sowohl zwei- als auch dreistimmig gesungen werden können. Was den Text betrifft, so sind alle Lieder mit nur zwei Ausnahmen in Latein geschrieben. Los set goyts und Imperayritz sind in „Vulgar-Katalanisch" geschrieben.

Eines der vielleicht kuriosesten Merkmale dieser Kompositionen ist der Um-stand, daß drei von ihnen als Tänze ausgewiesen sind. Der Schreiber des Llibre Vermell sagt, daß Stella splendens „ad trepudium rotundum" — aufgeführt werden solle oder, im Falle der Lieder Los set goyts und Polorum regina „a ball redon" — im Rundtanz. Dies bedeutet, daß es sich dabei um drei Tänze handelt, die im Kreis auszuführen waren, was innerhalb der aus jener Epoche erhaltenen Musik ganz einzigartig ist.

Somit verfügten die Pilger, die sich der Heiligen Jungfrau von Montserrat zu Fügen werfen wollten, bei ihrer Ankunft nicht nur über ein Liederrepertoire, mit dem sie jene anderen Gesänge ersetzen konnten, welche nicht den Normen des Zusammenlebens an dem geheiligten Ort entsprachen, sondern gleichzeitig auch über ein Repertoire an Tänzen, mittels derer sie ihrer Freude Ausdruck verleihen konnten.

Das Llibre Vermell ist nicht das Werk eines einzigen Komponisten. Wir haben bereits darauf verwiesen, daß alle darin enthaltenen Werke mit nur einer Ausnahme in der Technik der Ars Nova geschrieben sind. Dies bedeutet, daß man in Montserrat in bezug auf alles, was die Musik betraf, auf dem laufenden war. Dennoch war in jenen Tagen, als das Llibre geschrieben wurde, diese Technik keinesfalls in ganz Katalonien verbreitet; im Gegenteil, man weiß, daß mit Ausnahme von Montserrat diese nur von den Musikern des königlichen Hofes angewendet wurde.

Als würdiger Nachfolger des Klosters von Ripoll, welches gegen Ende des 14. Jahrhunderts bereits gänzlich seine Bedeutung eingebüßt hatte, pflegte das Kloster von Montserrat stets die Musik. Daher ist nichts Befremdliches daran, daß die Mönche, welche im Ausland studierten, daran interessiert waren, die musikalischen Neuheiten kennenzulernen, und daß sie bei ihrer Heimfahrt die ersten Partituren im neuen Stil mitbrachten. Solchermaßen lassen sich jene bereits erwähnten Stücke des Llibre Vermell erklären, deren Schreibweise, wiewohl sie sich als Ars Nova einordnen lassen, doch bestimmte, ganz eigenartige Merkmale aufweisen, von denen insbesondere ihre Einfachheit hervorzuheben wäre. Es handelt sich dabei zweifelsohne um Werke jener Mönche von Montserrat, die in ihrem eifrigen Bestreben, Neuheiten von draußen aufzunehmen, versuchten, diese auf eine Reihe von Kompositionen zu übertragen, was ihnen auf vereinfachende und gleichzeitig doch auch ausgezeichnete und künstlerisch anspruchsvolle Weise gelang.

Was die Werke betrifft, welche im reinsten Stil der französischen Ars Nova geschrieben worden sind, so gibt es dafür zwei mögliche Erklärungen: entweder wurden sie von den Musikern des königlichen Hofes von Aragón als Gabe für die Jungfrau von Montserrat geschrieben, oder es waren die Mönche selbst, welche sie verfaßten, nachdem sie sich unter dem Einfluß der ihnen am nächsten liegenden Vorbilder, nämlich denen des Hofes, mit den Geheimnissen jener musikalischen Technik vertraut gemacht hatten. Die Beziehungen zwischen Montserrat und dem Hofe von Aragón waren damals auf alien Ebenen sehr eng und zwar nicht nur, weil die Monarchen selber der Jungfrau von Montserrat ergeben waren und sich häufig zu ihren Fügen zum Gebet einfanden, sondern auch aufgrund der Tatsache, daß im 14. Jahrhundert Montserrat bereits das bedeutendste Kloster des ganzen Königreiches war.

Abschließend bleibt noch darzulegen, dag es sich bei dem Lied O virgo splendens, welches in einem älteren Stil als die übrigen Kompositionen des Llibre Vermell geschrieben ist, vielleicht um das einzige Modell einer mehrstimmigen Niederschrift handelt, welche uns von den Arbeitsweisen von Montserrat aus der Zeit vor Übernahme der Neuheiten der Ars Nova erhalten geblieben ist.

1) Ministerialen = nicht ritterbürtige, berufsmäßige Sänger und Spielleute im Gegensatz zu den zumeist adeligen Troubadours — Quelle: Gero von Wilpert: „Sachwörterbuch der Literatur", Stuttgart, 19695, S.486

2) Bei Wilpert ist virelai folgendermaßen erklärt: „aus dem volkstümlichen Tanzlied entwickelte frz. Gedichtform in Strophen mit kunstvoll angeordnetem Refrain und ins gesamt meist nur zwei Reimklängen. Beginnt mit e. Refrain aus zwei, später einer Zeile; dann (meist drei) vierzeilige Strophen, die mit der Melodie des Refrains ausklingen und diesen anschließen lassen." S. 828

3) motet = frz. Gedichtform: Siebenzeiler auf zwei Reime mit der Reimfolge abab/aba, wobei der 6. Vers kürzer ist als die anderen. Später, als der Text Nebensache und die Melodie Hauptsache wurde, zur mehrstimmigen musikalischen Form entwickelt. Zitat nach Wilpert, op. cit., 5.497










Catalonian Music in the Second Half of the Fourteenth Century

Extending south of the Pyrenees all the way to the Mediterranean Sea and bordering to the West on Castile and Navarra, the kingdom of Aragón was a natural converging point for a number of cultures. The kingdom was created in 1137 as a result of the marriage of the Count of Barcelona, Ramón Berenguer IV, to Doña Petronila, the daughter of Ramiro II of Aragón. Thanks to its favourable geographic location, it was fed from all sides by the most important artistic currents and tendencies throughout the entire Middle Ages, which, in turn, where then united with the native art of Aragon — and we must not forget that, day by day, Aragón was being reconquered piece by piece from Arab occupation. This union of European influences with Aragonian art and culture gave birth to an important and early cultural renaissance in the fourteenth century, the prime centre of which was Catalonia, the territory that formerly belonged to the counts of Barcelona. And, although there were several focal points, one was of very particular significance during that period, namely, the court.

The count-kings of Catalonia and Aragón were known as generous patrons of the arts during the entire fourteenth century (but especially in the second half). From the reign of James II, 1291-1327, through that of Martin I (called the "Humane"), 1396-1410, the royal house of Catalonia and Aragon succeeded in attracting some of the period's most outstanding scientists and artists, including famous musicians, some of whom were performers, others composers, and still others both.

For medieval nobility music was a constant source of regeneration and delight. We know that from earliest times kings, dukes, counts — and in general anyone who could afford the luxury — kept several musicians in his household to be able to enjoy music in moments of leisure. At first such musicians were called "jongleurs", later "ménestriers" or minstrels 1). The minstrels in the service of the royal house of Aragon take on very special significance during the second half of the fourteenth century, with respect both to their number and to their contribution. Local musicians were joined by a large number of foreigners, in particular by Italians like Pere d'Arezzo, Baldo de Florença and Jacopo da Bologna, but later by French, Flemish and German musicians like Thibaut de Vallraynes, Johani de Sent Luch, Jacomi Capeta, Hohan Estrumant, Jacquet de Noyo, Midach and the many others employed by John I (1387-1396). They all had great reputations; their works and performances surely formed the avant-garde in the musical and artistic styles of the period, and they were largely responsible for making the royal court of Aragon one of the most important germinating centres for the musical style known as "Ars Nova".

The jongleurs and minstrels were not totally responsible for the establishment of this important centre of music, however, for major roles were also played by the musicians and composers of the various churches connected with the royal court. Nearly all of the latter had been trained in the music schools of Avignon, which was both the papal residence and the famous centre of religious music of the day. From Avignon came names like Steve de Sort, Bonifaci de Xartres, Nicolau de Mallines, Johan Flamench, Jehan Robert (alias Trebor) and Gacian Reyneau. And the last two named, for example, were both experienced composers of secular music.

We also know that John I was so inspired by the performance of his church musicians that he once tried to follow in their footsteps. With their help, as he himself confesses in a letter, he composed "i rondo con su tenor, contratenor y canto correspondientes" — rondeaux (poems with refrain or burden) with appropriate tenor, countertenor and song parts. Moreover, he made it clear that he was willing to do the same in French with any virelai, rondeau or ballad that one might suggest he set to music. It should be remembered that French influences on the Catalonian court were constantly present throughout the entire Middle Ages, but that is no reason for John's music to be considered any less extraordinary. It is obvious that during the second half of the fourteenth century — with such an artistic and musical climate at the court in which the most important trends in both the secular and the religious music of French Ars Nova converged — all of the prominent musical centres in the kingdom profited, at least all of those with direct connection to the court. Only when we take these circles and their high interest in music into consideration and realize what in those days winning such circles for Ars Nova meant, can we somewhat explain the fact that in Catalonia there could be a manuscript of so singular cast as the Llibre Vermell (Red Book) of Montserrat.


The Monastery at Montserrat

In Europe during the Middle Ages it was not seldom that a shrine was erected where a saint or apostle was buried or where, according to legend, a miracle had been performed by the Virgin Mother (whose image was honoured there). A church was invariably constructed on such sites, and, not far away, a monastery was often founded that was charged with the care and supervision of the holy ground and at the same time was placed under its protection.

In Spain two shrines were especially famous: one was Santiago de Compostela to which pilgrims travelled from all over Europe to visit the grave of St. James the Apostle; the other was Montserrat, that was more or less restricted to local pilgrims but that had long become the centre of the worship of the Blessed Virgin for all Catalonia. There is indication that there had already been a chapel to the Blessed Virgin in Montserrat at the end of the ninth century and that during the same period there were hermits dwelling in the mountain. The image of the Virgin that is worshipped in Montserrat today, however, is a wonderful Romanesque wood-carving that dates from the end of the twelfth century or the beginning of the thirteenth century.

A little monastery was founded there around 1027. It was originally a dependency of the monastery at Ripoll, but with time it became famous and was enlarged continuously until apparently by the end of the Middle Ages — when pilgrimages there had steadily increased — it had developed into one of the most important cultural centres in Catalonia. We have only scanty information on the monastery of Montserrat during the first centuries of its existence, primarily because of the lamentable fact that its extremely rich library and its archives were burned in 1811 during the Napoleonic wars. As not many of the medieval manuscripts from the "scriptorium" (writing-room) of the Montserrat monastery have come down to us, the value and significance of the new preserved manuscripts is greatly increased, most especially since some of them are of the quality and uniquences of the Llibre Vermell.

The monks of Montserrat have always been highly educated. Let us remember, as already mentioned, the monastery's original dependence upon the Benedictine monastery at Ripoll. Montserrat was founded through the initiative of one of its most famous abbots, Oliva (1023-1046) and drew its first fraternity from the monastery at Ripoll. That was at a time when Ripoll represented for Catalonia more or less what St. Martial of Limoges to France and St. Gall to Switzerland were, for it was Catalonia's most important centre of religious culture. Ripoll kept in constant [...] with the monasteries on the other side of the Pyrenees while important schools blossomed forth within Ripoll itself. One such school that perhaps should be given special mention was the music school, the import[ance?] of which is indicated by the fact that it even invented its own notational system.

As a result, Montserrat was a little centre of culture right from the time of its founding as a branch house of Ripoll. It was not only to outgrow the latter's supervision (in 1409), but to outlive the principal house while nevertheless remaining within its intellectual tradition. Hence, it is not at all astonishing that Montserrat had the "sciptorium" referred to above, and it is even less surprising that original works and copies of texts of extreme interest were written there. Although our information comes from the fourteenth century, we do know that some of the monks studied at faraway places while others performed general studies inside of the borders of the kingdom (for example, in Lérida, Perpignan, Montpellier and Barcelona), that still others studied at various monastic schools conducted by the Benedictine order, and that some probably even attended universities as distant as Paris and Bologna.

Too, beginning in the twelvth century, the small circle of intellectuals at Montserrat was expanded by the remarkable presence of a number of priests on the holy mountain, each of whom was in some way connected with a noble (usually Catalonian) family which he was supposed to represent in the daily masses held at the altar of the Virgin for and in the name of the noblemen. Many of these priests were well educated; some of them were true scholars, and, although they did not form part of the monastic fraternity, living in such close contact with the monks led to a constant exchange of ideas.


Llibre Vermell

The most precious codex among the manuscripts now held in the library at Montserrat is, beyond any doubt, its famous Ms. No. 1, which is better known by the name Llibre Vermell. The copy there was made toward the end of the fourteenth century or at the beginning of the fifteenth century. The name comes from the red velvet cover that was made for it at some time during the last third of the nineteenth century. The codex is believed originally to have contained around 172 sheets (in folio), of which only 137 have been preserved. As is true of so many medieval codices, its content is quite varied, but special mention should be made of the double sheets, namely Folio 21 V0 27, on which ten musical works of an anonymous composer are found — the number was larger before part of the codex was lost.

These works follow the copyist's carefully noted and clear intention that is stated in connection with the first of the songs that have come down to us: "As the pilgrims, while holding night vigil in the Church to the Blessed Virgin in Montserrat, sometimes have the desire to sing and to dance, and even want to do so during the day on the Church Square (where only virtous and pious songs may be sung), a number of suitable songs have been written for and according to this need. They should be used in a respectful and moderate manner so as not to disturb those who wish to go on with their prayers and religious meditations to which, incidentally, everyone should dedicate himself devoutly during the evening prayer." A few pages later it is also recommended that the pilgrims to Montserrat "speak in a restrained manner and avoid frivolous songs and indecent dances on the way to, while at the shrine as well as on the way back home".

The repertory of the Llibre Vermell stems from the desire to provide the good people who make pilgrimages to the altar of the Virgin with locally acceptable songs that were meant to replace temporarily all of the songs based on folkloristic tradition. It has already been mentioned that, with respect to the number of pilgrims who visited Montserrat, the fourteenth century was one of the most important centuries. We may, therefore, assume that the repertory of songs that were sung and danced during those years was extremely well-known among the people. The time that these songs found entry into the codex has been placed between 1398 and 1399. The copy was completed in the latter year. It is assumed that the songs — if not all, at least most — had been previously written and that they were written down only because tradition had confirmed both their textual and their melodic importance.

The compositions found in the Llibre Vermell are by no means uniform. They reveal remarkable differences that — one might say — make them even more interesting. With respect to notation, all of the songs except O virgo splendens (that now appears as the first song of the codex and is written in Gregorian-like quadratic shapes) reveal the French Ars Nova's own notational system and thus follow the criteria that had led to Philippe de Vitry's notational system around 1320. Nevertheless, in written appearance, five compositons (Stella splendens, Los set goyts, Cuncti simus, Polorum regina and Ad mortem festinamus) show several individual features that for practical purposes, however, do not — as far as we know today — deviate from those of Vitry's Ars Nova.

Formally speaking, half of the compositions are virelais, a form that basically consists in the alternation of two musical lines, one of which, the refrain, is repeated twice: the first time with the text of the respective stanza and the second time with its own text2). The works following this structural pattern are: Stella splendens, Cuncti simus, Polorum regina, Mariam matrem and Ad mortem festinamus.

As noted in the manuscript itself, the songs O virgo splendens, Laudemus virginem and Splendens ceptigera take the form of two or three-part songs. These canons may be sung by two or three voices, or, in other words, they have a melody that repeats itself but with repetitions that start up at different times. Los set goyts is a ballad that concurs in certain points with the ballad form of the Italian Ars Nova. The last lied that must be mentioned is lmperayritz, a motet3) in the French style, although it does not contain a tenor part as would be characteristically expected for this song form.

The number of voices for which these compositions were written varies from one to three, whereby it should be remembered that the three canons may be sung by two or three voices. With two exceptions, the texts are all in Latin. Los set goyts and Imperayritz, are in "vulgar" Catalonian.

Perhaps one of the most curious features of these compositions is the fact that three of them are labelled dances. The copyist of the Llibre Vermell states that Stella splendens should be performed "ad trepudium rotundum" and the songs Los set goyts and Polorum regina should be "a ball redon", in round dance. This means that all three songs are dances to be performed in a circle: something completely unique in the music that has come down to us from that period.

Thus, on arrival, the pilgrims who wished to throw themselves at the feet of the Virgin of Montserrat not only had at their disposal a repertory of songs to replace the songs that would not be in keeping with the standards of life at the holy site, but also a repertory of dances through which they could express their joy.

The Llibre Vermell is not the product of one single composer. We have already pointed out that with only one exception all of the works contained are written in the technical style of Ars Nova. This means that composers in Montserrat were up-to-date with everything concerning music. Nevertheless, in the days in which the Llibre was written, the Ars Nova technique was not at all widespread in Catalonia. Quite the contrary, for we know that, outside of Montserrat, it was employed only by musicians at the royal court.

As the worthy successor to the Ripoll Monastery (that had lost its importance entirely by the end of the fourteenth century), the Monastery of Montserrat has always cultivated music. That is why there is nothing out of the ordinary about the fact that the monks who had studied abroad were interested in acquainting themselves with the latest innovations in music and that they returned to their home monastery with the first scores written in the new style. A similar explanation can also be found for the pieces (already mentioned) in the Llibre Vermell that, by the style of their writing, can be classified as belonging to Ars Nova but yet display certain highly unique features: above all, simplicity. For they are surely the works of monks of Montserrat who, in their eager effort to absorb the innovations of the outer world, were attempting to carry the innovations over into a number of compositions and succeeded in doing so in a way that at once was simplifying and yet also of high artistic quality and excellence.

For the works that were written in an absolutely pure style of French Ars Nova there are two plausible explanations: either they were written by musicians at the royal court in Aragón in honour of the Virgin of Montserrat, or the composers were the monks themselves writing after having become familiar — under the influence of their closest models, namely those at the court — with the secrets of the composing techniques. Contact between Montserrat and the Court of Aragón was very close on all levels at the time, not only because the monarchs themselves were devoted to the Virgin of Montserrat and were often to be found in prayer at her feet, but also due to the fact that in the fourteenth century Montserrat had already become the most important monastery in the entire kingdom.

In closing, it remains only to say that the song O virgo splendens — which is written in an older style than that of the rest of the compositions in the Llibre Vermell — is perhaps the only example of a copy of a polyphonic work that has come down to us which shows the style of writing in Montserrat prior to the incorporation of Ars Nova innovations.

Translation by E.D. Echols

Notes:

1) Minstrels: professional singers and musicians who, contrary to most troubadours, were not members of the nobility (see Gero von Wilpert, Sachwörterbuch der Literatur, Stuttgart, 19695, p.486).

2) Wilpert's explanation of the virelai is as follows: "French poem form developed from the popular dancing song, in stanzas with skilfully incorporated refrain and two lines, later with one line; then (usually three) four-line stanzas that end with the tune of the refrain and are then followed by the refrain" (p.828).

3) Motet: French poem form having seven-line stanza with two rhymes and the rhyme-scheme abab/aba, whereby the sixth line is shorter than the others. Was later developed into a polyphonic musical form when the text became of secundary, the melody of primary importance. Source: Wilpert, Op. cit., p. 497