Frofro
/ Ioculatores
Weihnachtsmusik des 10.-15. Jahrhunderts
Christmas-music in the 10th-15th centuries
medieval.org
muziekweb.nl |
discogs.com
Raumklang RK 9503
1996
1. Veni, redemptor gentium [2:18]
Text: Ambrosius von Mailand, † 397 ||
Melodie: 12. Jh. (Einsiedeln, Stiftsbibl. 121)
Gesang
2. In hoc anni circulo [3:01]
siehe Nr. 5 / Instrumental version of track 5
Fidel, Harfe, Lauten
3. Nun singen wir: frofro [3:17]
süddeutsch, um 1460 (Hohenfurter Liederbuch)
Gesang
4. In dulci iubilo [1:12]
Schlesien?, um 1400 (Leipzig, Univ. Bibl. Ms. 1305)
Schalmeien
5. In hoc anni circulo [6:10]
Frankreich, 12. Jh. (Paris, Bibl. Nat. fonds lat. 1139)
Gesang, Portativ
6. Concordia [4:36]
Frankreich, 9. Jh. (Paris, Bibl. Nat. fonds lat. 17436 / St. Gallen, Stiftsbibl., Cod. Sang. 484 pag. 259)
Portativ, Fidel, Harfe, Laute
7. Ave, mueter küniginne [2:14]
Oswald von WOLKENSTEIN, 1377-1445 (Innsbruck, Univ. Bibl. ohne Signatur)
siehe Nr.13 / see track 13
Gesang, Lauten
8. Vrœt ùch alle [2:20]
süddeutsch, 14. Jh. (Engelberg, Stiftsbibl. Kodex 314, um 1372)
Sicut Lætabundus verbum et melodiam
siehe Nr.12 / see track 12
Gesang
9. Gabriel fram evene king [6:11]
England, 13. Jh. (London, Brit. Libr. Arundel 248)
Gesang, Fidel, Harfe, Flöte, Glockenspiel, Maultrommel, Rahmentrommel
10. Joseph, liber neve myn [2:01]
Schlesien?, um 1400 (Leipzig, Univ. Bibl. Ms. 1305)
Gesang, Fidel, Schoßfidel, Schalmei, Trumscheit, Schellentambourin
11. Sis willekommen, herre Kerst [0:39]
Aachen, 14. Jh. (Erfurt, Wiss. Bibl. 4°)
Gesang
12. Lætabundus exsultet fidelis chorus [5:06]
Frankreich,13. Jh. (Bari, Prosar der Sainte-Chapelle Paris, um 1250)
Gesang, Fidel, Harfe, Laute, Flöte, Glockenrad
13. Ave mater, o Maria [10:09]
Italien, 15. Jh. (Innsbruck, Univ. Bibl. ohne Signatur = Wolkenstein Ms. B)
Gesang
14. O Maria, stella maris [3:44]
Adam de SAINT-VICTOR, † 1177
Portativ, Schalmei
15. Hanc concordi famulatu colamus sollemnitatem [2:09]
NOTKER Balbulus, † 912 (St. Gallen, Stiftsbibl., Cod. Sang. 376, nach 1050)
Gesang
16. Eyn hillich dach und eyn hilch nacht unde eyn salich nyge iar [3:05]
niederdeutsch, 15. Jh. (Rostocker Liederbuch, um 1470, Rostock. Univ. Bibl. Mss. phil. 100/2)
Gesang, Fidel, Harfe
17. Pois que dos Reys [6:49]
CSM 424
Spanien, 13. Jh. (El Escorial, Real Monasterio de El Escorial, B. 1.2.)
Gesang, Fidel, Harfe, Laute, Ûd, Zink, Schalmei
18. [4:30]
Redeuntes in idem re
süddeutsch, 15. Jh. (Buxheimer Orgelbuch, um 1470)
Orgel
Ave, maris stella
Frankreich, 12. Jh. (Colmar, Ms. 442)
Gesang
IOCULATORES
Susanne Ansorg
Fidel 5saitig (V. Heller 1989),
Fidel 4saitig (R. Earle 1987),
Schalmei (J. Hanchet 1990)
Sabine Hanschuh
Harfe gotisch (R. M. Thurau 1984)
Alexander Dinter
Laute (J. Duncalf 1993)
Veit Heller
Orgel der Stiftkirche in Wechselburg
(Fa. Jehmlich 1980, nach Relonstruktionsplänen
für ein spätmittelalteriches Blockwerk von Prof. Dr. Winfried Schrammek),
Portativ romanisch (V. Heller 1992),
Zink (S. Delmas 1992),
Glockenspiel (V. Heller 1993),
Schalmei (J. Hanchet 1990),
Trumscheit (V. Heller 1990),
Glockenrad (V. Heller 1994)
Kay Krause
Laute (W. Emmerich 1993),
Ûd (trad. syrisch),
Schoßfidel 5saitig (M. Gust 1990),
Rahrnentrommel (trad. arabish)
Sebastian Pank
Schalmei (V. Heller 1986),
Blockflöte (Schneider 1983)
Robert Weinkauf
Sologesang
Gäste / special guests
Der Mädchenchor der
Schola Cantorum Leipzig
Leitung: Eckhardt Budrowitz
Titel 1, 10, 18
Daniela Draeger, Viola Genz, Sabine Vogel
Solisten der Schola Cantroum Leipzig
Titel 7, 13
Michael Metzler
Schellentambourin (trad. ägyptisch)
Titel 10
aufgenommen 1995 in der Stiftskirche Heilig Kreuz zu Wechselburg
Redaktion
IOCULATORES
Texte
Alexander Dinter, Veit Heller
Übersetzungen
französisch: Verena Köhler / englisch: Abbey & Friedrich
Tonaufnahmen/Schnitt
Sebastian Pank
Graphik
Kay Krause
© und ℗ Raumklag, Leipzig
Unsere besonderer Dank gilt den Mönchen des Wechselburger Benediktinerkonvents.
Wir danken Kathleen Dineen und Elimar Plinio Macahdo dafür, daß sie uns bei der Erarbeitung
der mittelenglischen und galizio-portugiesischen Lieder unterstützen
Für Freunde audiophiler Tonaufnahmen sei daraufhingewiesen,
daß die Produktionen als reine STEREO Tonaufzeichnung mit einem
Kugelflächenmikrofon entstanden.
Die Aufnahmen wurden ohne klangliche Nachbearbeitung produziert — DIRECT TO MASTER.
Gloria in altissimis Deo et in terra pax!
So ertönte der Jubel der Engel an der Krippe Christi, in den nun die
Menschen zum Lobpreis Gottes und aus Freude über die Geburt des
Erlösers einstimmen. Ein Weihnachtsfest, ein Fest des Frohlockens, wäre
ohne Musik undenkbar. Seit alters stellt man sich den himmlischen Jubel
als eine ewige, prächtige Musik vor. Dementsprechend sagte Augustinus
(† 430) über die Bedeutung der Musik für die Menschen: »Wer jubiliert,
spricht keine Worte, sondern es ist ein Sang der Freude ohne Worte; es
ist die Stimme des in Freude aufgelösten Herzens, das soviel wie
möglich den Affekt auszudrücken versucht, wenn es auch den Sinn nicht
versteht.«
Die besonders reiche Musik des Weihnachtsfestes
vermochte, auf emotionale Weise zu vermitteln und auszudrücken, was
dem Volk in den lateinischen Worten verborgen war:
Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden!
Das
Weihnachtsfest begegnet uns etwa seit dem 4. Jahrhundert im
Festkalender der frühen Kirche. Mit ihr breitet es sich im gesamten
Abendland aus und tritt an die Stelle des heidnischen Festes der
Wintersonnenwende. Nicht zuletzt daher rührt wohl die besondere
Volksnähe dieses christlichen Festes, ohne die es sich schwerlich
durchzusetzen vermocht hätte.
So schuf die Vielfalt der lokalen Traditionen in Spannung zu
theologisch tiefsinnigen, ja mystischen Gedanken und deren
volkstümlicher Reflexion eine Musik, die in ihrer Bezogenheit auf
das Fest der Geburt Christi die ganze Buntheit der mittelalterlichen
Musik kaleidoskopartig zusammenfaßt.
Der Weihnachtsfestkreis beginnt mit der Adventszeit, deren Charakter
als Fastenzeit (von St. Martin, 11. November, an) in dem
erwartungsvollen Hymnus »Veni, redemptor gentium« deutlich
zu spüren ist.
Die Weihnachtszeit, insbesondere die Adventszeit, gehört zu den
hervorragenden Eckpunkten im Marien-Jahr. Seit dem 9. Jahrhundert kann
man das Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariælig; (8. Dezember)
nachweisen. Die unbefleckte Reinheit der Jungfrau Maria wird in den
Mariengesängen »Ave, maris stella«, »O Maria,
stella maris« und »Ave mater, o Maria« gepriesen. An
die Verkündigung der Geburt Jesu an Maria durch den Erzengel
Gabriel wird in volkssprachlichen Dialogen in dem altenglischen
Weihnachtslied »Gabriel fram evene king« erinnert.
Im Zentrum steht natürlich die Musik zum Weihnachtstag selbst.
Eine wichtige Quelle bot sich für uns in den Leipziger
Überlieferungen: aus einer Handschrift (Anfang 15. Jh.) stammen
die bis heute gebräuchlichen Weihnachtslieder »Joseph, liber
neve myn« und »In dulci iubilo«. Im Graduale der
St.-Thomas-Kirche (14. Jh.) findet sich die Sequenz »Lælig;tabundus
exsultet fidelis chorus«, von der in Süddeutschland eine
mittelhochdeutsche Nachdichtung überliefert ist — ein
Zeugnis für die Beliebtheit und die Volksnähe dieser
liturgischen Musik.
Die Weihnachtslieder »Eyn hillich dach und eyn hilch nacht unde
eyn salich nyge iar« (Rostocker Liederbuch), »Es ist geporn
ein kindelein, nun singen wir: frofro« (Hohenfurter Liederbuch)
sind — ganz losgelöst vom Gebrauch im Gottesdienst —
aufs engste mit der weltlichen Lied-tradition der jeweiligen
Herkunftsgebiete verbunden. In diesem Zusammenhang steht auch das
französische Lied »In hoc anni circulo« aus der
Handschrift St. Martial (12. Jh.), das enge Beziehungen zur
okzitanischen Troubadour-Lyrik aufweist.
Zum Weihnachtsfest gehört auch — einen Tag nach dem Fest der
Geburt Jesu — das Gedenken an den Heiligen Stephanus, den ersten
Märtyrer der Christenheit. Zu diesem Festtag schrieb Notker
Balbulus († 912) eine Sequenz zum Melodieformular
»Concordia«, das sich bis ins 8. Jahr-hundert
zurückverfolgen läßt.
Den Abschluß des Weihnachtsfestkreises bildet das
Drei-königsfest (Epiphanias). Die Anbetung der Heiligen Drei
Könige wird in der spanischen Cantiga »Pois que dos
Reys« beschrieben.
Der außerordentliche Reichtum der Musik zur Weihnachtszeit liegt
zum einen darin begründet, daß man dieser Festzeit sowohl
auf religiös-liturgischem Gebiet als auch im Bereich der
Volksfrömmigkeit und der Volksbräuche höchste Bedeutung
beimessen muß. Zum anderen aber bietet die Länge der
Festzeit — von den vorbereitenden Adventsfasten bis zu Epiphanias
beinahe zwei Monate! — Anlaß zu unterschiedlichstem Feiern
und Musizieren. Wir haben mit der vorliegenden Auswahl versucht, eine
Vorstellung von dieser Vielfalt zu vermitteln. Wir fühlten uns
dabei insbesondere auch dem Namen Ioculatores
verpflichtet, waren doch die Spielleute als ausübende Musiker mit
den unterschiedlichsten Aufgaben des Musizierens in jeglichem Rahmen
vertraut.
Der Titel der Einspielung »frofro« (aus dem Lied »Nun
singen wir: frofro«, Titel 3) ist vielleicht ein
mittelalterliches Wortspiel. Das althochdeutsche Wort frô bedeutet ja sowohl fröhlich als auch Herr (vgl. Fron-Dienst). In volksethymologischer Freiheit wird ein Zusammenhang zwischen der Herr und fröhlich sein konstruiert, also etwa: fröhlich aber den Herrn, und so in knappester Form der Grund der Freude zum Weihnachtsfest ausgedrückt.
Gloria in altissimis Deo et in terra pax!
Thus ran the angels' exultation at the manger of Christ — to be
joined in with by mankind praising God and rejoicing over the birth of
the Redeemer. The celebration of Christmas, this festival of
jubilation, would be inconceivable without music. From time immemorial,
heavenly rejoicing has been conceived as eternal, magnificent music. As
Augustinus said in the 4th century about the importance of music for
the people, "Those who rejoice speak not in words; rejoicing means
singing one's joy without words; it is the voice of the heart full of
joy which tries to give maximum expression to the emotion, even if it
doesn't understand the sense." Christmas music, which is particularly
rich, was indeed able to emotionally convey the sense of the Latin
phrase which the people did not understand:
Glory to God in the highest and peace on earth!
Christmas has been part of the ecclesiastical calendar since the 4th
century AD. The church's rise throughout the Occident was accompanied
by Christmas, which replaced the heathen festival of the winter
solstice — a factor which might explain the popularity of this
Christian festival, which otherwise is unlikely to have gained general
acceptance. The fusion of the great variety of local traditions with
the theologically profound or even mystic ideas and their popular
reflection thus created a kaleidoscopic body of music incorporating the
whole variety and colour of medieval music in its treat-ment of the
festival of Christ's birth. Christmas starts with Advent, the fasting
element of which (starting with St. Martin's Day on November) can
clearly be perceived in the hymn "Veni redemptor genitum". Christmas,
especially the season of Advent, is one of the highlights of the
calendar of the Virgin Mary, and the Feast of the Immaculate Conception
(7 December) is known to date back to the 9th century [sic]. The
immaculate purity of the Virgin Mary is praised in the songs "Ave,
maris stella", "O Maria, stella maris" and "Ave mater, o Maria".
Meanwhile, the old English carol "Gabriel fram evene king" employs
vernacular dialogues to tell of the Annunciation.
The central part of this selection is of course dedicated to the music
of Christmas Day itself. Records preserved in Leipzig were a major
source for us. We found, for example, the Christmas songs "Joseph,
liber neve myn" and "In dulci iubilo", which are still sung today, in a
hand-written manuscript from the beginning of the t5th century, while
"Lælig;tabundus exsultet fidelis chorus" is contained in the 14th century
Gradual of St. Thomas's Church. A free rendering in Middle High German
of this sequence has become a traditional song in southern Germany,
thus illustrating the popularity of this liturgical music.
Not used in church services, the Christmas carols "Eyn hillich dach und
eyn hilch nacht unde eyn salich nyge iar" (taken from the Rostock
Songbook) and "Es ist geporn ein kindelein, nun singen wir: frofro"
(from the Hohenfurt Songbook) are closely related to the tradition of
secular song in their respective areas of origin. This is also true of
the French song "In hoc anni circulo" from a manu-script written by
[sic] St. Martial (12th century), which is closely linked to the lyric
poetry of the Occitan troubadours.
The "Feast of Stephen", the first Christian martyr, is celebrated on 26 December.
Notker Balbulus († 912) composed a piece for St. Stephen's Day based on
a "Concordia" sequence which can be traced back to the 8th century. The
celebration of Christmas is completed by Epiphany and hence the Spanish
cantiga "Pois que dos Reys" describes the Magi worshipping the infant
Jesus.
The extraordinary wealth of Christmas music is partly due to its
enormous significance in both religious terms and within traditional
customs and piety. Moreover, the duration of the entire festival of
Christmas (almost two months from Advent and the period of fasting
until Epiphany) provides numerous occasions for celebration and musical
activities. We hope the selection presented here imparts something of
the broad variety this rich musical genre has to offer.
1. Veni, redemptor gentium
Die gespannte Erwartungsstimmung der Adventszeit drückt der Hymnus
»Veni, redemptor gentium« aus, dessen Text man Ambrosius
von Mailand zuschreibt. Ambrosius hatte den liturgischen Hymnengesang
in der Westkirche eingeführt. Nach ihm trägt die metrische
Grundform der Hymnen (vierzeilige Strophen in iambi-schen Dimetern) den
Namen Metrum Ambrosianum. Die gleichsam tastend-suchende Melodie, die
an »das Volk, das im Finstern wandelt« (Jesaja 9,2) zu
erinnern scheint, ist für das r2. Jahrhundert aus dem Kloster
Einsiedeln überliefert. Bis zum heutigen Tage gehört dieser
Hymnus zu den bekannten Adventsliedern, besonders durch die weite
Verbreitung der Übersetzung Martin Luthers (1524: »Nun komm,
der Heiden Heiland«).
This hymn expresses the
atmosphere of keen anticipation throughout Advent. The words are
attributed to Ambrosius of Milan. It remains one of the most well-known
Advent songs, particularly on account of its 1524 translation by Martin
Luther, "Nun komm, der Heiden Heiland" ("Now cometh the heathens'
Saviour").
2. In hoc anni circulo (instrumental)
siehe Nr. 5 / Instrumental version of track 5
3. Nun singen wir: frofro
In volkssprachlicher Dichtung und eingängiger Melodik erklingt die
Freude über die Geburt Jesu, Jubel zu seinen Ehren und die ersten
verhaltenen Bitten, das von den Stricken der Sünde umfangene
irdische Leben gegen das ewige Himmelreich einzutauschen. Im
Hohenfurter Liederbuch, das um 1460 im bayrisch-österreichischen
Raum entstand, spiegeln »ethlich geistlich lieder, doch in
weltlich weysen« eine wachsende Volksfrömmigkeit. So erhielt
auch Weihnachten — die christianisierte römisch-heidnische
Sonnenwendfeier — einen zunehmend volksfestartigen Charakter, und
liturgisch ungebundene Lieder waren in aller Munde.
Using verse based on popular
speech, this song expresses the joy at the birth of Christ, jubilation
in his honour and the first subdued appeals for life on earth embroiled
in sin to be exchanged for eternal life in the Kingdom of Heaven.
4. In dulci iubilo (instrumental)
Die älteste lateinisch-deutsche Fassung dieses Liedes ent-stammt
einer um 1400 (möglicherweise in Schlesien) verfaßten
Handschrift, die heute in der Universitätsbibliothek Leipzig (Nr.
1305) aufbewahrt wird. Hier steht das Lied in enger Nachbarschaft zu
»Joseph, liber neve myn« und wurde vielleicht wie dieses
bei der Aufführung von Weihnachtsspielen gesungen. In der
Einspielung erklingt die Melodie instrumental in einem an die Alta capella erinnernden Satz, der im Fauxbourdonstil des 15. Jahrhunderts improvisiert wurde.
The oldest Latin-German
version of this song is to be found in a manuscript dating back to ca.
1400 (possibly from Silesia), nowadays preserved in the library of
Leipzig University (no. 1305). This recording includes an instrumental
version with an arrangement reminiscent of alta capella improvised in r5th century Faux Bourdon style.
5. In hoc anni circulo
Eine der frühesten Aufzeichnungen eines südfranzösischen
volkssprachlichen (okzitanischen) Liedes findet sich in der Handschrift
von St. Martial aus dem 12. Jahrhundert. Alternierend schrieb man je
eine Liedstrophe in Latein (»In hoc anni circulo«) und eine
in Limousin (»Mei amic e mei fiel«), einem der
okzitanischen Dialekte, auf, was deutlich die Nähe zur
Troubadour-Lyrik Südfrankreichs zeigt. Der für diese
Einspielung ausgewählte lateinische Text beschreibt in schlichter,
beinahe volkstümlicher Schönheit die Geburt Jesu im Stall von
Bethlehem. Die lateinische Fassung des Liedes war weit verbreitet. So
findet sie sich auch, allerdings mit einer schlichteren Melodie, unter
den Weihnachtsliedern der schon erwähnten Leipziger Handschrift.
Die Melodie kommt noch einmal in einer rein instrumentalen Fassung,
ausschließlich auf Saiteninstrumenten, zur Geltung (Nr. 2).
An 12th century manuscript
from the Benedictine Abbey of Saint Martial contains one of the
earliest records of an Occitan song from southern France. Occitan songs
contained verses alternating in Latin and Limousin (one of the Occitan
dialects), thus demonstrating the dose link to the lyric poetry of
troubadour song emanating from the south of France. The Latin text
chosen for this recording uses words of simple beauty to depict the
stable in Bethlehem. Track 2 features an instrumental version of the
melody arranged exclusively for stringed instruments.
6. Concordia (instrumental)
Das Sequenzformular »Concordia« war im Mittelalter sehr
beliebt. Uns sind mindestens zwanzig Textierungen dieser Melodie
bekannt. Die Urfassung ist die Mariensequenz »Gaude eia, unica
columba«. Sie muß nach 840 in Nordfrankreich entstanden
sein. Darauf weist der im Text erwähnte Normanneneinfall hin:
»de gente fera nos libera normannica«, daher auch die der
Melodie den Namen gebende Friedensbitte: »dona nobis pacem atque
concordiam« Die älteste Niederschrift dieser Sequenz findet
sich im Antiphonar Karls des Kahlen († 877) und ist in Metzer Neumen
notiert.
Wir haben das musikalische Material dieser Sequenz in die Form der
Estampie »umgegossen«. Das bot sich nicht nur an, weil die
Estampie eine der Sequenz sehr nahe verwandte musikalische Gattung ist
(Doppelverse!), sondern vor allem auch deshalb, weil »Gaude eia,
unica columba« aus einzelnen Melodieabschnitten besteht, die im
Verlauf der Sequenz mehrfach wiederholt werden (archaische Sequenz).
Für diesen Sequenztypus ist es charakteristisch, daß sich
keine Beziehung zu einem Alleluiaiubilus und damit zu einem bestimmten
Festtag im Kirchenjahr auf-zeigen läßt. Lediglich die
Beziehung zum Marienfestkreis ist sicher.
The "Concordia" sequence form
was very popular in the Middle Ages and at least 20 different sets of
words sung to this melody are known. The original version is the
sequence of the Virgin Mary "Gaude eia, unica columba", which was
written in northern France after 840 AD.
7. Ave, mueter küniginne
siehe Nr.13 / see track 13
8. Vrœt ùch alle
Sicut Lætabundus verbum et melodiam
siehe Nr.12 / see track 12
9. Gabriel fram evene king
Das mittelenglische Lied »Gabriel fram evene king« ist in
einer franzis-kanischen Handschrift aus dem späten 13. Jahrhundert
überliefert. Diese Handschrift, die aus dem Besitz des Londoner
Franziskanerkonvents stammt, enthält neben mittelenglischen auch
französische und lateinische Lieder. »Gabriel fram evene
king« beschreibt in einem lebendi-gen Dialog zwischen dem
Erzengel und Maria die Verkündigung der Geburt Christi. Das Lied
ist die Übertragung des lateinischen »Angelus ad
virginem« ins Mittelenglische, welches in enger Beziehung zur
mittelhochdeutschen Sprache steht. Die Volksnähe der
Nacherzählung der biblischen Geschichte, ihre Dramatisierung
läßt sich den neuen religiösen Idealen des Ordens der
Minderbrüder zuordnen: Franziskaner suchten nicht meditative
Abgeschiedenheit, sondern die Nähe der Gläubigen, um durch
Seelsorge und Armenpflege in die Nachfolge Christi einzutreten.
Grundlage für den christlichen Glauben ist nach franziskanischer
Auffassung das Verständnis der Heiligen Schrift. Die beinahe derbe
Volkstümlichkeit des vorliegenden Liedes ist so gesehen nicht
Zeichen einer Verwässerung religiöser Substanz, sondern von
seelsorgerisch motivierter Verdeutlichung der Glaubensinhalte
geprägt. Dem kam sicherlich auch die noch für unsere Ohren
typisch englische Melodie entgegen.
The Middle English song
"Gabriel fram evene king" was handed down in a Franciscan manuscript
from the late 13th century. In lively dialogue it describes the angel
Gabriel's announcement to Mary that she was to be the mother of Jesus.
'The manuscript stems from London Franciscan Convent's collection.
10. Joseph, liber neve myn
Bekannter als die weitaus ältere, lateinische Weihnachtskanzone
»Resonet in laudibus« ist heute die deutsche Fassung
»Joseph, liber neve myn«, die erstmals um 1400 in einer
Handschrift aufgezeichnet wurde, die heute in der
Universitätsbibliothek Leipzig liegt. Der entsprechende Abschnitt
enthält Lieder und Hymnen für die höchsten Feiertage des
Jahres: Ostern und Weihnachten. Beide Feste fanden nicht selten ihren
Höhepunkt in der Aufführung volkssprachlicher
Evangelienspiele, bei denen Sänger und Instrumentalisten mitwirken
konnten.
Zum Lied »Joseph, liber neve myn« gibt die Leipziger Quelle
Anweisungen für die Ausführung mit verteilten Rollen.
Während Maria und Joseph das Kindlein wiegen, »sullen alle
menschen zwar mit ganzen frouden kommen dar« (chorus).
The German version "Joseph,
liber neve myn" (first recorded in a manuscript dating back to ca. 1400
now kept in the library of Leipzig University), is better known than
the much older Latin carol "Resonet in laudibus". The source also
includes performance instructions featuring different parts, similar to
a Gospel play.
11. Sis willekommen, herre Kerst
Dieses ist das älteste deutsche Weihnachtslied, das als Aachener Weihnachtslied
bekannt ist. Während es im Evangeliar Kaiser Ottos III.
(983—1002) als spätere Eintragung aus dem 14. Jahrhundert
leider nur fragmentarisch überliefert ist, gibt die Erfurter
Handschrift von etwa 1400 eine vollständige Strophe wieder. Anders
als die deutschsprachigen Lieder des 13. Jahrhunderts, die wohl im
allgemeinen Gebrauch waren und meistenteils in die nun angefertigten
Lieder- und Gesangbücher aufgenommen wurden, war dieser Gesang in
Aachen fest in die Weihnachtsliturgie eingebunden. Sicher war es
dem ersten Schöffen der Stadt Aachen eine besonders hohe Ehre, auf
die Verkündigung des Weihnachtsevangeliums mit dem Gruß:
»Sis willekommen, herre Kerst« antworten zu dürfen.
The oldest German Christmas
carol, "Sis willekomen, herre Kerst" is also known as the Aachen Carol
as it formed an essential part of the town's Christmas liturgy. Instead
of the congregation, the Aachen's first lay judge responded to the
proclamation of the Christmas gospel with the greeting "Sis willekomen,
herre Kerst" ("Welcome, Christ the Lord").
12. Lætabundus exsultet fidelis chorus
Die französische Sequenz »L&ae;tabundus exsultet fidelis
chorus« gehört zu den am weitesten verbreiteten
Weihnachtssequenzen. Sie findet sich unter anderem auch im Leipziger
St.-Thomas-Graduale. Der Grund für diese Beliebtheit möchte
ihr ausgesprochen freudiger musikalischer Charakter sein. So ist diese
Sequenz ein Beispiel dafür, wie Ausdrucksmittel der weltlichen
Musik auch in die liturgische Praxis Eingang finden — hier wohl,
um der ausgelassenen Freude des Weihnachtstages Ausdruck zu verleihen.
Gerade in Sequenzen findet diese Freude ihre liturgische Form,
insbesondere wenn man bedenkt, daß in der dem Weihnachtsfest
vorausgehenden Adventsfastenzeit keine Sequenzen erklangen.
Auffällig an der Sequenz »L&ae;tabun-dus exsultet fidelis
chorus« ist zum einen ihre durch Text und Melodie
gleichermaßen unterstützte klare rhythmische Gestalt, die an
Tanzmu-sik erinnert, und zum anderen die beinahe reigenartig
wiederholten Schlußfloskeln in den ersten drei Doppelversikeln,
wobei diese jeweils mit dem Vokal »a« enden, der vom ersten
Alleluia vorgegeben ist.
Der Text freilich verdeutlicht die scharfe antijudaistische Einstellung
im Mittelalter. In für uns nicht nachvollziehbarer
Überheblichkeit wird mit der Freude über die Geburt des
Heilandes auch der Triumph der Ecclesia über die Synagoge
mitgedacht — gleich den plastischen Allegorien wie sie in die
Bildprogramme zahlreicher Kirchenbauten einbezogen wurden.
Den Juden wird vorgeworfen, sie würden, indem sie die
Prophezeihungen der Bibel nicht auf Jesus Christus anwendeten, ihre
eigene Religion nicht recht verstehen. Sie blieben blind und ohne Heil,
wenn sie sich nicht bekehrten. Aus diesem bitteren Vorwurf spricht die
religiöse Intoleranz des mittelalterlichen Christentums, die ein
schweres Erbe der abendländischen Kultur wurde. Andererseits
vermag uns die Schärfe dieser Auseinandersetzung auch zu
verdeutlichen, von welch existentieller Bedeutung die Wahrheit der
religiösen Heilszusagen für den Gläubigen war, und wie
bedrohlich daher ihre Anfechtungen, insbesondere durch andere
Religionen, empfunden worden sind. Sowenig jedoch die religiöse
Intoleranz dieser Epoche für uns nachvollziehbar ist, so sehr sind
wir von historischen Zeugnissen ergriffen, die die Plastizität und
Allgegenwart der Vorstellungen vom Leben in der Jenseitigen Welt im
geistlichen Horizont des mittelalterlichen Menschen dokumentieren.
Von der außerordentlichen Beliebtheit dieser Sequenz zeugt auch
eine nahezu wörtliche Übertragung ins Mittelhochdeutsche, die
im Kodex Engelberg aus den 70er Jahren des 14. Jahrhunderts
überliefert ist: »Vœet itch alle«. Die
Übertragung von Sequenzen in die Volkssprache ist auch in der
Spätzeit der Sequenzenentwicklung eine ausgesprochene Seltenheit
und unterstreicht in unserem Falle den besonders volkstümlichen
Charakter des Weihnachtsfestes im ausgehenden Mittelalter. Im Gegensatz
zum Text, der im Bemühen um Verständlichkeit in die
Volkssprache übertragen wurde, steht die Melodie, die im Kodex
Engelberg überliefert ist. Diese hat die musikantische
Ursprünglichkeit der französischen Urfassung zugunsten einer
mehr stilisierten, verzierungsreicheren Gestik aufgegeben und erscheint
beinahe als eine romantisierende Reflexion über das bei allen als
bekannt vorauszusetzende Original.
The French sequence
"Lætabundus exsultet fidelis chorus" is one of the best-known
Christmas sequences. One noticeable aspect is its clear rhythmic
structure borne equally by the words and the melody, and which is
suggestive of dance music. However, the lyrics illustrate the fiercely
anti-Semitic attitude of the Middle Ages. With a sense of arrogance
incomprehensible to us, joy at the birth of the Saviour is combined
with the triumph of the ecclesia over the synagogue. The Jews are
accused of failing to properly understand their own religion by not
applying the prophecies of the Bible to Jesus Christ and are threatened
with blindness and the denial of salvation should they not convert.
This bitter recrimination reflects the religious bigotry of medieval
Christendom — a shameful legacy of occidental culture.
Nevertheless, the intensity of this dispute brings home just how
important the truth of the promise of redemption was for the believer,
as well as how threatening any challenges to its authority
(particularly those presented by other religions) were perceived to be.
Even if this religious intolerance is unfathomable to us, we
may nevertheless be moved by such historical evidence in the medieval
intellectual world documenting the vividness and omnipresence of
conceptions of life hereafter. The extraordinary popularity of this
sequence is also illustrated by the almost literal translation in
Middle High German from the 1370s, "Vrœt ùch alle", contained
in the Codex Engelberg.
13. Ave mater, o Maria
Die Lauda »Ave mater, o Maria« stammt aus dem
spätmittelalterlichen Italien des frühen 13. Jahrhunderts.
Als Lauden bezeichneten sich Laienbruderschaften in den italienischen
Stadtrepubliken, die sich dem gemeinsamen Gotteslob (lat./ ital.:
laudare — loben) verpflichtet hatten. Das Besondere dieser
Gemeinschaften waren ihre außerordentlich fröhlichen,
ausgelassenen Gottesdienste, zu denen man sich täglich für
mehrere Stunden traf. In diesen Gottesdiensten wurde jeweils das ganze
Kirchenjahr, die ganze Heilsgeschichte in komprimierter Form
dargestellt. Musikalisch waren die Laudesi von der weltlichen Musik des
italienischen Trecento beeinflußt. Die Lauda »Ave mater, o
Maria« ist eine Kontrafaktur eines weltlichen Liedsatzte. Die
Anfangsworte ihrer Strophen ergeben hintereinander gelesen,
gewissermaßen als versteckten Schmuck allein zur Ehre Gottes, das
»Ave Maria«, den Gruß des verkündigenden
Erzengels Gabriel.
Das um 1433 in Italien entstandene Lied »Ave, mueter
küniginne« ist die sehr gefühlvolle und poetische
Übertragung dieser Lauda durch Oswald von Wolkenstein (1377-1445).
Oswald übersetzte nur die ersten vier Strophen aus dem
Lateinischen ins Deutsche. Durch die bildhafte Sprache Oswalds gewinnt
das Stück eine neue Schönheit. Der kunstvolle dreistimmige
Satz folgt dem italienischen Vorbild.
The lauda "Ave mater, o
Maria" comes from late medieval Italy. It is a contrafact of a secular
arrangement. The song "Ave, mueter which was composed in Italy in 1433
or thereabouts, is a sensitive, very poetic translation of this lauda
by Oswald von Wolkenstein; indeed, the song is lent new beauty by the
vividness of Oswald's language. The elaborate three-part arrangement
follows the Italian model.
14. O Maria, stella maris (instrumental)
Im 12. Jahrhundert wurde Paris mehr und mehr zum Zentrum der
abendländischen Kultur. Hier wurde die erste gotische Kirche
gebaut (Saint Denis), hier entwickelte sich die neue Musizierpraxis der
Notre-Dame-Schule, die Pariser Universität wurde zum Zentrum
europäischen Geisteslebens. So verbinden sich mit dem
weltberühmten Pariser Chorherrenstift Saint Victor nicht nur
bedeutende Denker wie Hugo und Richard von Saint Victor, sondern man
widmete sich hier auch der Dichtkunst: Adam von Saint Victor († 1177)
entwickelte einen neuen Stil der Sequenz, die Reimsequenz. Neben
gereimten Versikeln einheitlichen Versmaßes haben diese Sequenzen
eine eigene, vom Alleluiaiubilus unabhängige Melodie. Für die
Mariensequenz »O Maria, stella maris« greift Adam dabei im
ersten Versikel auf die Melodie des Hymnus' »Ave, maris
stella« zurück, um dann in sieben weiteren Versikeln mit
musikalischer Phantasie dieses »Thema« zu variieren. In
instrumentaler Interpretation zeigen Portativ und Schalmei die
Schönheit dieser neuen, von der weltlichen Liedkunst
beeinflußten liturgischen Musik des 12. Jahrhunderts.
In the world-famous Abbey of
St. Victor in Paris, particular attention was devoted to poetry, and
Adam de Saint Victor († 1177) developed a new sequence style, namely
the rhymed sequence. In the first verse of the sequence to the Virgin
Mary "O Maria, stella maris", Adam falls back upon the melody of the
hymn "Ave, maris stella".
15. Hanc concordi famulatu colamus sollemnitatem
Der Dichter Notker Balbulus († 912) aus dem Kloster St. Gallen
verwendete das Sequenzformular »Concordia« zweimal:
für seine Peter-und-Paul-Sequenz und für seine
Stephanus-Sequenz. Letztere steht im Zusammenhang mit dem
Weihnachtsfestkreis, weil das Fest des Erzmärtyrers Stephanus
unmittelbar auf den Christtag folgt. Notker hat in freiem Umgang mit
der Vorlage den Aufbau grundlegend geändert. Er beseitigte oder
kaschierte vor allen Dingen die Wiederholungen einzelner Abschnitte der
Melodie und erreicht damit einen neuen Charakter. Zusätzlich
unterstützt der Text diese Neuanlage. Bleibt der Blick Notkers bis
zum ersten Doppelvers ganz auf der sich versammelnden Gemeinde ruhen,
erfolgt im zweiten Doppelvers die erste vorsichtige Anrede des
Erzmärtyrers. Dann folgt im dritten Doppelvers die Begründung
der Anrufung: Gerade auf das Flehen des Stephanus hin sei aus dem
Christenverfolger Saulus der Apostel Paulus geworden, der nun gemeinsam
mit Stephanus im Reigen der Himmlischen tanzt. Das Verb
»tripudiare« weist auf die mittelalterliche Vorstellung der
in himmlischer Seligkeit tanzenden Heiligen hin, die Christus umringen,
der in einem Sieges- und Freudentanz das Böse in der Welt
»zertanzt«. Im vierten Doppelvers folgt aus der
Rückbesinnung auf die sich versammelnde irdische Gemeinde eine
flehende Bitte um Fürsprache.
Damit könnte die Sequenz beendet sein. Doch bei Notker folgt nun
noch eine gleichsam visionäre Schau des von Christus durch Petrus
auserwählten ersten Diakons Stephanus. So wie Stephanus bei seiner
Steinigung durch die Schau der himmlischen Herrlichkeit getröstet
wurde, soll auch die in der Welt versammelte Gemeinde durch Anschauung
des gekrönten, purpurgewandeten Märtyrers Trost empfangen.
Dieser Mittlerschaft und Stellvertretung gibt Notker noch durch ein
Sprachspiel Ausdruck: Das letzte Wort der Sequenz,
»coronatus« (Gekrönter), ist die lateinische
Übersetzung des Namens des Märtyrers
»Στέφανος«.
The poet Notker Balbulus († 912)
from the Monastery of St. Gallen used the "Concordia" sequence form
twice: for his Peter and Paul sequence and for his St. Stephen
sequence. The latter is related to the celebration of Christmas as the
feast of this first Christian martyr is celebrated on Boxing Day.
16. Eyn hillich dach und eyn hilch nacht unde eyn salich nyge iar
Das Rostocker Liederbuch, das in der Zeit um 1470o wahrscheinlich im
Kreise von Studenten oder Gelehrten der Universität Rostock
entstand, enthält neben etlichen Liedern, die sich auch in anderen
deutschsprachigen Sammlungen des 15. Jahrhunderts finden lassen,
zahlreiche rein niederdeutsche Lieder. Zu ihnen gehört auch das
Weihnachtslied »Eyn hillich dach und eyn hilch nacht unde eyn
salich nyge iar«. Der diesem einleitenden Wunsch folgende knappe
Bericht von der Geburt Christi mündet in die Bitte um den Segen
Mariens. Jeder Strophe folgt als Refrain eine Anrufung Gottes.
Auffällig ist die verhalten schwingende Melodie des Liedes, die
den archaischen Reiz einer verschleierten Pentatonik trägt.
The Rostock Songbook, which
was compiled in ca. 1470, contains numerous songs written purely in Low
German, one of these being "Eyn hillich dach und eyn hilch nacht unde
eyn salich nyge iar". The song has a prayer structure with each verse
being followed by a refrain which is an invocation of God. The hidden
pentatonic scale lends this melody a particular appeal.
17. Pois que dos Reys
Am Ende der Weihnachtszeit steht das Dreikönigsfest. Noch einmal
erschallen Freude und Lobpreis, doch kündigt sich bereits das
Unheil der Herodes-Geschichte an. So enthält auch »Pois que
dos Reys« — nachdem von den fernen Ländern und den
Großen Arabiens und der weiten, dem Stern folgenden Reise der
Weisen berichtet wurde — die Begegnug der drei Magier aus dem
Morgenland mit König Herodes: »Herodes fragte: ›Was sucht
Ihr hier?‹ Sie antworteten ihm: ›In dem Stern sahen wir,
daß ein König, sehr edel, hier geboren ist, der Herr der
Juden und des Gesetzes.‹ Herodes erwiderte: ›Glaubt mir, einen
guten Rat gebe ich Euch: Geht und kommt zurück von dort, damit ich
dann selbst gehe, Ihn kennenzulernen.‹«
Die Cantigas de Santa Maria,
die im 13. Jahrhundert unter Alfonso X. »El Sabio«, dem
König von Kastilien und Leon, aufgezeichnet wurden, enthalten mehr
als 400 Gesänge, die zumeist Wundertaten der Jungfrau Maria
beschreiben. Lieder mit rein biblischem Inhalt wie »Pois que
dos Reys« finden sich in dieser Sammlung seltener.
The songs to the Virgin Mary of the 13th century Cantigas de Santa Maria
also include a number of Christmas-related songs. Epiphany marks the
end of the Christmas season. Although rejoicing and praising are again
to be heard, the catastrophe of King Herod's reaction to Christ's birth
is already in the air. "Pois que dos Reys" thus relates the meeting of
the Three Magi from the east with King Herod, as well as their journey
and their adoration of Jesus.
18.
Redeuntes in idem re
Ave, maris stella
Seit dem 10. Jahrhundert findet die Orgel zunehmenden Gebrauch in der
Kirchenmusik. Als »Musikautomat« bestaunt und ob ihrer
»universalen« Klangkraft geschätzt, war die Orgel
ebenso wie Glockenspiel und Glockenrad der besonderen Feierlichkeit
hoher Feste vorbehalten. »Solch tieffes grobes brausen und
greuliches grümmeln; auch wegen vielheit der MixturPfeiffen/ein
überaus starcken schall und laut/und gewaltiges geschrey«
(Praetorius, 1619) kann auf der Orgel der Stiftskirche zu Wechselburg,
die nach spätmittelalterlicher Disposition gebaut wurde,
nachempfunden werden.
Das »Redeuntes in idem re« entstammt dem Buxheimer
Orgelbuch, das um 1470 entstand. Es ist die umfangreichste Sammlung von
Orgelmusik des 15. Jahrhundert, deren Entstehen der zu Nürnberg
geborene Organist Conrad Paumann (um 1413-1473) maßgeblich
beeinflußt haben wird.
Der siebenstrophige Hymnus »Ave, maris stella« gehört
zu den am meisten gesungenen Marienhymnen (Vesper samstags und an
Marienfesten). Die älteste Fassung dieses Stückes stammt aus
einem Hymnar des Zisterzienserordens, das sich als Kopie in der
Colmarer Handschrift 442 aus der ersten Hälfte des 12.
Jahrhunderts erhalten hat. Ebenso wie der Zisterzienserorden fand,
womöglich in dessen Gefolge, auch dieser Hymnus rascheste
Ausbreitung im gesamten Abendland. Gehörte doch eine intensiv
gepflegte Marienverehrung zu den Charakteristika zisterziensischer
Frömmigkeit. Die Assoziation der Gottesmutter mit dem Meerstern
ist ein im Mittelalter geläufiges Bild, das unter anderem auch in
den Predigten des Bernhard von Clairvaux (1090-1153), des wohl
berühmtesten Zisterziensers, auftaucht. Dabei gilt die Reinheit
des Sternenlichtes (vgl. Sequenz »Vr&oe;t ùch alle«
Strophe 3) als Gleichnis des ewigen Lichtes, in dem die gekrönte
Maria thront.
Often admired as a "musical box" and appreciated for its universal sound the organ (like the glockenspiel and the bell wheel)
was reserved for special festivities. The sound of late medieval organ
music can be perceived from the organ in Wechselburg Collegiate Church,
which was built on the basis of historical plans. "Redeuntes in idem
re" comes from the Buxheim organ book, which was written in around
1470, probably under the influence of the organist Conrad Paumann (ca.
1413 to 1473).
The hymn "Ave, maris stella" is one of those most frequently sung to
the Virgin Mary. The oldest source of this piece of music is a 12th
century Cistercian hymnbook.
Das Ensemble IOCULATORES,
gegründet 1984, beschäftigt sich seit 1988
ausschließlich mit der Musik des abendländischen
Mittelalters. Besondere Aufmerksamkeit widmet es der Aufführung
instrumentaler Musik, die eng mit der Geschichte und Praxis des
Instrumentenbaus verbunden ist.
Die Notation und Ausführung mittelalterlicher Musik rechnet fest
mit dem improvisatorischen Können der Musiker. Auf der Grundlage
des Studiums der Instrumente, der musikalischen Gestaltungsprinzipien
und des geschichtlichen wie auch kunsthistorischen Umfeldes ist das
Ensemble IOCULATORES um eine historische Auffiihrungspraxis
bemüht, die spielmännische Lebendigkeit und stilgerechte
Improvisation vereint.
Die Musiker von IOCULATORES sind Absolventen bzw. Studenten der
Hochschule für Musik Leipzig, der Universität Leipzig und der
Schola Cantorum Basiliensis.
Neben Konzerten, die die vitale Vielfalt Mittelalterlicher Musik
verschiedener Landschaften und Jahrhunderte zu Gehör bringen, gilt
das Interesse des Ensembles IOCULATORES der Erarbeitung besonderer
thematischer Programme. Diese widmen sich ausgewählten
Musikformen, historischen Persönlichkeiten, Ereignissen und
Gebieten oder nehmen Bezug auf die Geschichte des jeweiligen
Veranstaltungsortes. Anhand historischer Zusammenhänge, von
Bräuchen und Sitten der mittelalterlichen Gesellschaft sollen
Eigenheiten und Gemeinsamkeiten der abendländischen Völker,
ihre kulturellen Berührungspunkte sowie ihre Kontakte zur Welt des
Orients lebendig werden.
Ebenso versteht das Ensemble IOCULATORES die Verbreitung des Wissens um
Musik und Kultur des Mittelalters als seine Aufgabe. In Konzerten wie
in speziellen Veranstaltungen zur Musik und ihrem besonderen
Instrumentarium (Schülerkonzerte, Vorträge) kann dem Beginn
unserer abendländischen Kultur nachgespürt werden. Seit 1991
ist das Ensemble alljährlich Initiator und Veranstalter der
»Internationalen Tage der mittelalterlichen Musik in
Sachsen-Anhalt«, die seit 1993 auf der Neuenburg stattfinden.
Dieses Festival ist zum Treffpunkt für Musiker und Musikfreunde
geworden.
Bereits als CD erschienen (Best.-Nr. RK 9301):
IOCULATORES
Lieder und Tänze des 13.-15. Jahrhunderts
IOCULATORES
The ensemble IOCULATORES
was founded in 1984. Four years later, its members decided to dedicate
themselves entirely to medieval occidental music performed on
instruments typical of those used in the 9th-15th centuries. The
instruments are reconstructed on the basis of rare originals still in
existence, historical illustrations and period descriptions.
In keeping with the tradition
of the original Ioculatores (minstrels), the ensemble performs a number
of different concert programmes. Its repertoire includes secular
medieval dance music and courtly love songs, as well as concerts
devoted to specific themes.
IOCULATORES is made up of
students past and present of Leipzig College of Music, the University
of Leipzig and Schola Cantorum Basiliensis. The ensemble has performed
throughout Germany and also toured Russia and France on a number of
occasions. Following radio and TV performances, IOCULATORES' first CD
was released in 1993.
Since 1991, the ensemble has
organised the annual "International Days of Medieval Music". A meeting
place for both musicians and music-lovers alike, the festival was first
staged in Neuenburg Castle, its current venue, in 1993.
Der Mädchenehor der SCHOLA CANTORUM LEIPZIG
Die SCHOLA CANTORUM LEIPZIG in ihrer heutigen Form besteht erst seit
1993 und ist aus dem ehemaligen Leipziger Kinder- und Jugendchor schola
cantorum hervorgegangen, welcher bereits im Jahre 1963 gegründet
wurde. Sie ist eine Einrichtung der Stadt Leipzig und untersteht dem
Schulverwaltungsamt.
Heute umfaßt die SCHOLA CANTORUM LEIPZIG mehrere Ensembles:
die vokale Grundstufe, den Kinderchor, den Mädchenchor und
den gemischten Kammerchor. Prinzip der SCHOLA CANTORUM LEIPZIG ist es,
durch Ausbildung von Kindern ab dem 6./7. Lebensjahr in der vokalen
Grundstufe auf der Grundlage der Kodály'schen Singschule den
eigenen Sängernachwuchs heranzubilden.
Der Mädchenchor hat heute etwa 50 Mitglieder im Alter von 14 bis
26 Jahren, größtenteils Schülerinnen verschiedener
Leipziger Schulen, aber auch Lehrlinge, Studenten und Berufstätige.
Vor allem durch die Interpretation selten zu hörender geistlicher
Chormusik des 19. und 20. Jahrhunderts erlangte das Ensemble
Aufmerksamkeit. Einen weiteren Schwerpunkt in der Arbeit bildet die
Erarbeitung und Aufführung von Kompositionen des frühen 17.
und 18. Jahrhunderts unter Berücksichtigung der Erkenntnisse auf
dem Gebiet der historischen Musizierpraxis.
Regelmäßige Konzerte in Kirchen und Konzerthäusern der
Heimatstadt und Reisen in fast alle Regionen Deutschlands bezeugen den
guten Ruf des Ensembles. Die ersten Auslandsreisen seit der
Neugründung führten das Ensemble nach Ungarn und
Südafrika. Weitere Konzertreisen nach Italien, Frankreich und
Ungarn sind geplant.
1992 wurde Eckhardt Budrowitz als neuer Leiter des ehemaligen Leipziger
Kinder- und Jugendchores schola cantorum in das Amt eingeführt.
Auf seine Initiative hin erfolgte 1993 die Umstrukturierung des
Ensembles in die heute bestehende Form. Er studierte un der Hochschule
für Musik »Franz Liszt« in Weimar im Hauptfach
Chordirigieren bei Prof Geri Frischmuth.
SCHOLA CANTORUM LEIPZIG Girls Choir
Continuing the tradition of
the Leipzig Children's and Youth Choir founded in 1963, SCHOLA CANTORUM
LEIPZIG was established in its present form in 1993. It consists of a
number of ensembles: a group of very young singers who learn the basics
of choir singing, the Children's Choir, the Girls Choir and the Mixed
Chamber Choir. The principle of SCHOLA CANTORUM LEIPZIG is to start
training children from the age of 6 or 7 on the basis of the Kodály
Method to ensure there are enough young competent singers for the
ensembles.
The Girls Choir of SCHOLA CANTORUM LEIPZIG includes about
50 singers aged 14-26: schoolgirls, students, trainees and young
professionals. The Girls Choir has largely come to prominence through
its interpretation of rarely performed sacred choral music of the 19th
and 20th centuries.
Eckardt Budrowitz, whose qualifications include
degree in choir conducting at the "Franz Liszt Academy of Music" in
Weimar, took over as choirmaster of SCHOLA CANTORUM LEIPZIG in 1992.