Frofro  /  Ioculatores


Weihnachtsmusik des 10.-15. Jahrhunderts
Christmas-music in the 10th-15th centuries







medieval.org
muziekweb.nl | discogs.com

Raumklang  RK 9503
1996









1. Veni, redemptor gentium  [2:18]
Text: Ambrosius von Mailand, † 397  ||  Melodie: 12. Jh. (Einsiedeln, Stiftsbibl. 121)
Gesang

2. In hoc anni circulo  [3:01]
siehe Nr. 5 / Instrumental version of track 5
Fidel, Harfe, Lauten

3. Nun singen wir: frofro  [3:17]
süddeutsch, um 1460 (Hohenfurter Liederbuch)
Gesang

4. In dulci iubilo  [1:12]
Schlesien?, um 1400 (Leipzig, Univ. Bibl. Ms. 1305)
Schalmeien

5. In hoc anni circulo  [6:10]
Frankreich, 12. Jh. (Paris, Bibl. Nat. fonds lat. 1139)
Gesang, Portativ

6. Concordia  [4:36]
Frankreich, 9. Jh. (Paris, Bibl. Nat. fonds lat. 17436 / St. Gallen, Stiftsbibl., Cod. Sang. 484 pag. 259)
Portativ, Fidel, Harfe, Laute

7. Ave, mueter küniginne  [2:14]
Oswald von WOLKENSTEIN, 1377-1445 (Innsbruck, Univ. Bibl. ohne Signatur)
siehe Nr.13 / see track 13

Gesang, Lauten

8. Vrœt ùch alle  [2:20]
süddeutsch, 14. Jh. (Engelberg, Stiftsbibl. Kodex 314, um 1372)
Sicut Lætabundus verbum et melodiam
siehe Nr.12 / see track 12

Gesang

9. Gabriel fram evene king  [6:11]
England, 13. Jh. (London, Brit. Libr. Arundel 248)
Gesang, Fidel, Harfe, Flöte, Glockenspiel, Maultrommel, Rahmentrommel

10. Joseph, liber neve myn  [2:01]
Schlesien?, um 1400 (Leipzig, Univ. Bibl. Ms. 1305)
Gesang, Fidel, Schoßfidel, Schalmei, Trumscheit, Schellentambourin

11. Sis willekommen, herre Kerst  [0:39]
Aachen, 14. Jh. (Erfurt, Wiss. Bibl. 4°)
Gesang

12. Lætabundus exsultet fidelis chorus  [5:06]
Frankreich,13. Jh. (Bari, Prosar der Sainte-Chapelle Paris, um 1250)
Gesang, Fidel, Harfe, Laute, Flöte, Glockenrad

13. Ave mater, o Maria  [10:09]
Italien, 15. Jh. (Innsbruck, Univ. Bibl. ohne Signatur = Wolkenstein Ms. B)
Gesang

14. O Maria, stella maris  [3:44]
Adam de SAINT-VICTOR, † 1177
Portativ, Schalmei

15. Hanc concordi famulatu colamus sollemnitatem  [2:09]
NOTKER Balbulus, † 912 (St. Gallen, Stiftsbibl., Cod. Sang. 376, nach 1050)
Gesang

16. Eyn hillich dach und eyn hilch nacht unde eyn salich nyge iar  [3:05]
niederdeutsch, 15. Jh. (Rostocker Liederbuch, um 1470, Rostock. Univ. Bibl. Mss. phil. 100/2)
Gesang, Fidel, Harfe

17. Pois que dos Reys  [6:49]   CSM  424
Spanien, 13. Jh. (El Escorial, Real Monasterio de El Escorial, B. 1.2.)
Gesang, Fidel, Harfe, Laute, Ûd, Zink, Schalmei

18.  [4:30]
Redeuntes in idem re
süddeutsch, 15. Jh. (Buxheimer Orgelbuch, um 1470)
Orgel
Ave, maris stella
Frankreich, 12. Jh. (Colmar, Ms. 442)
Gesang













IOCULATORES

Susanne Ansorg
Fidel 5saitig (V. Heller 1989), Fidel 4saitig (R. Earle 1987), Schalmei (J. Hanchet 1990)

Sabine Hanschuh
Harfe gotisch (R. M. Thurau 1984)

Alexander Dinter
Laute (J. Duncalf 1993)

Veit Heller
Orgel der Stiftkirche in Wechselburg (Fa. Jehmlich 1980, nach Relonstruktionsplänen
für ein spätmittelalteriches Blockwerk von Prof. Dr. Winfried Schrammek),
Portativ romanisch (V. Heller 1992), Zink (S. Delmas 1992), Glockenspiel (V. Heller 1993), Schalmei (J. Hanchet 1990), Trumscheit (V. Heller 1990), Glockenrad (V. Heller 1994)

Kay Krause
Laute (W. Emmerich 1993), Ûd (trad. syrisch), Schoßfidel 5saitig (M. Gust 1990), Rahrnentrommel (trad. arabish)

Sebastian Pank
Schalmei (V. Heller 1986), Blockflöte (Schneider 1983)

Robert Weinkauf
Sologesang





Gäste / special guests

Der Mädchenchor der
Schola Cantorum Leipzig
Leitung: Eckhardt Budrowitz
Titel 1, 10, 18

Daniela Draeger, Viola Genz, Sabine Vogel
Solisten der Schola Cantroum Leipzig
Titel 7, 13

Michael Metzler
Schellentambourin (trad. ägyptisch)
Titel 10






aufgenommen 1995 in der Stiftskirche Heilig Kreuz zu Wechselburg



Redaktion
IOCULATORES

Texte
Alexander Dinter, Veit Heller

Übersetzungen
französisch: Verena Köhler / englisch: Abbey & Friedrich

Tonaufnahmen/Schnitt
Sebastian Pank

Graphik
Kay Krause


© und ℗ Raumklag, Leipzig


Unsere besonderer Dank gilt den Mönchen des Wechselburger Benediktinerkonvents.

Wir danken Kathleen Dineen und Elimar Plinio Macahdo dafür, daß sie uns bei der Erarbeitung
der mittelenglischen und galizio-portugiesischen Lieder unterstützen


Für Freunde audiophiler Tonaufnahmen sei daraufhingewiesen,
daß die Produktionen als reine STEREO Tonaufzeichnung mit einem Kugelflächenmikrofon entstanden.
Die Aufnahmen wurden ohne klangliche Nachbearbeitung produziert — DIRECT TO MASTER.























Gloria in altissimis Deo et in terra pax!


So ertönte der Jubel der Engel an der Krippe Christi, in den nun die Menschen zum Lobpreis Gottes und aus Freude über die Geburt des Erlösers einstimmen. Ein Weihnachtsfest, ein Fest des Frohlockens, wäre ohne Musik undenkbar. Seit alters stellt man sich den himmlischen Jubel als eine ewige, prächtige Musik vor. Dementsprechend sagte Augustinus († 430) über die Bedeutung der Musik für die Menschen: »Wer jubiliert, spricht keine Worte, sondern es ist ein Sang der Freude ohne Worte; es ist die Stimme des in Freude aufgelösten Herzens, das soviel wie möglich den Affekt auszudrücken versucht, wenn es auch den Sinn nicht versteht.«
Die besonders reiche Musik des Weihnachtsfestes vermochte, auf emotionale Weise zu vermitteln und auszudrücken, was dem Volk in den lateinischen Worten verborgen war:

Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden!

Das Weihnachtsfest begegnet uns etwa seit dem 4. Jahrhundert im Festkalender der frühen Kirche. Mit ihr breitet es sich im gesamten Abendland aus und tritt an die Stelle des heidnischen Festes der Wintersonnenwende. Nicht zuletzt daher rührt wohl die besondere Volksnähe dieses christlichen Festes, ohne die es sich schwerlich durchzusetzen vermocht hätte.

So schuf die Vielfalt der lokalen Traditionen in Spannung zu theologisch tiefsinnigen, ja mystischen Gedanken und deren volkstümlicher Reflexion eine Musik, die in ihrer Bezogenheit auf das Fest der Geburt Christi die ganze Buntheit der mittelalterlichen Musik kaleidoskopartig zusammenfaßt.

Der Weihnachtsfestkreis beginnt mit der Adventszeit, deren Charakter als Fastenzeit (von St. Martin, 11. November, an) in dem erwartungsvollen Hymnus »Veni, redemptor gentium« deutlich zu spüren ist.

Die Weihnachtszeit, insbesondere die Adventszeit, gehört zu den hervorragenden Eckpunkten im Marien-Jahr. Seit dem 9. Jahrhundert kann man das Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariælig; (8. Dezember) nachweisen. Die unbefleckte Reinheit der Jungfrau Maria wird in den Mariengesängen »Ave, maris stella«, »O Maria, stella maris« und »Ave mater, o Maria« gepriesen. An die Verkündigung der Geburt Jesu an Maria durch den Erzengel Gabriel wird in volkssprachlichen Dialogen in dem altenglischen Weihnachtslied »Gabriel fram evene king« erinnert.

Im Zentrum steht natürlich die Musik zum Weihnachtstag selbst. Eine wichtige Quelle bot sich für uns in den Leipziger Überlieferungen: aus einer Handschrift (Anfang 15. Jh.) stammen die bis heute gebräuchlichen Weihnachtslieder »Joseph, liber neve myn« und »In dulci iubilo«. Im Graduale der St.-Thomas-Kirche (14. Jh.) findet sich die Sequenz »Lælig;tabundus exsultet fidelis chorus«, von der in Süddeutschland eine mittelhochdeutsche Nachdichtung überliefert ist — ein Zeugnis für die Beliebtheit und die Volksnähe dieser liturgischen Musik.

Die Weihnachtslieder »Eyn hillich dach und eyn hilch nacht unde eyn salich nyge iar« (Rostocker Liederbuch), »Es ist geporn ein kindelein, nun singen wir: frofro« (Hohenfurter Liederbuch) sind — ganz losgelöst vom Gebrauch im Gottesdienst — aufs engste mit der weltlichen Lied-tradition der jeweiligen Herkunftsgebiete verbunden. In diesem Zusammenhang steht auch das französische Lied »In hoc anni circulo« aus der Handschrift St. Martial (12. Jh.), das enge Beziehungen zur okzitanischen Troubadour-Lyrik aufweist.

Zum Weihnachtsfest gehört auch — einen Tag nach dem Fest der Geburt Jesu — das Gedenken an den Heiligen Stephanus, den ersten Märtyrer der Christenheit. Zu diesem Festtag schrieb Notker Balbulus († 912) eine Sequenz zum Melodieformular »Concordia«, das sich bis ins 8. Jahr-hundert zurückverfolgen läßt.

Den Abschluß des Weihnachtsfestkreises bildet das Drei-königsfest (Epiphanias). Die Anbetung der Heiligen Drei Könige wird in der spanischen Cantiga »Pois que dos Reys« beschrieben.

Der außerordentliche Reichtum der Musik zur Weihnachtszeit liegt zum einen darin begründet, daß man dieser Festzeit sowohl auf religiös-liturgischem Gebiet als auch im Bereich der Volksfrömmigkeit und der Volksbräuche höchste Bedeutung beimessen muß. Zum anderen aber bietet die Länge der Festzeit — von den vorbereitenden Adventsfasten bis zu Epiphanias beinahe zwei Monate! — Anlaß zu unterschiedlichstem Feiern und Musizieren. Wir haben mit der vorliegenden Auswahl versucht, eine Vorstellung von dieser Vielfalt zu vermitteln. Wir fühlten uns dabei insbesondere auch dem Namen Ioculatores verpflichtet, waren doch die Spielleute als ausübende Musiker mit den unterschiedlichsten Aufgaben des Musizierens in jeglichem Rahmen vertraut.

Der Titel der Einspielung »frofro« (aus dem Lied »Nun singen wir: frofro«, Titel 3) ist vielleicht ein mittelalterliches Wortspiel. Das althochdeutsche Wort frô bedeutet ja sowohl fröhlich als auch Herr (vgl. Fron-Dienst). In volksethymologischer Freiheit wird ein Zusammenhang zwischen der Herr und fröhlich sein konstruiert, also etwa: fröhlich aber den Herrn, und so in knappester Form der Grund der Freude zum Weihnachtsfest ausgedrückt.




Gloria in altissimis Deo et in terra pax!

Thus ran the angels' exultation at the manger of Christ — to be joined in with by mankind praising God and rejoicing over the birth of the Redeemer. The celebration of Christmas, this festival of jubilation, would be inconceivable without music. From time immemorial, heavenly rejoicing has been conceived as eternal, magnificent music. As Augustinus said in the 4th century about the importance of music for the people, "Those who rejoice speak not in words; rejoicing means singing one's joy without words; it is the voice of the heart full of joy which tries to give maximum expression to the emotion, even if it doesn't understand the sense." Christmas music, which is particularly rich, was indeed able to emotionally convey the sense of the Latin phrase which the people did not understand:

Glory to God in the highest and peace on earth!

Christmas has been part of the ecclesiastical calendar since the 4th century AD. The church's rise throughout the Occident was accompanied by Christmas, which replaced the heathen festival of the winter solstice — a factor which might explain the popularity of this Christian festival, which otherwise is unlikely to have gained general acceptance. The fusion of the great variety of local traditions with the theologically profound or even mystic ideas and their popular reflection thus created a kaleidoscopic body of music incorporating the whole variety and colour of medieval music in its treat-ment of the festival of Christ's birth. Christmas starts with Advent, the fasting element of which (starting with St. Martin's Day on November) can clearly be perceived in the hymn "Veni redemptor genitum". Christmas, especially the season of Advent, is one of the highlights of the calendar of the Virgin Mary, and the Feast of the Immaculate Conception (7 December) is known to date back to the 9th century [sic]. The immaculate purity of the Virgin Mary is praised in the songs "Ave, maris stella", "O Maria, stella maris" and "Ave mater, o Maria". Meanwhile, the old English carol "Gabriel fram evene king" employs vernacular dialogues to tell of the Annunciation.

The central part of this selection is of course dedicated to the music of Christmas Day itself. Records preserved in Leipzig were a major source for us. We found, for example, the Christmas songs "Joseph, liber neve myn" and "In dulci iubilo", which are still sung today, in a hand-written manuscript from the beginning of the t5th century, while "Lælig;tabundus exsultet fidelis chorus" is contained in the 14th century Gradual of St. Thomas's Church. A free rendering in Middle High German of this sequence has become a traditional song in southern Germany, thus illustrating the popularity of this liturgical music.

Not used in church services, the Christmas carols "Eyn hillich dach und eyn hilch nacht unde eyn salich nyge iar" (taken from the Rostock Songbook) and "Es ist geporn ein kindelein, nun singen wir: frofro" (from the Hohenfurt Songbook) are closely related to the tradition of secular song in their respective areas of origin. This is also true of the French song "In hoc anni circulo" from a manu-script written by [sic] St. Martial (12th century), which is closely linked to the lyric poetry of the Occitan troubadours.

The "Feast of Stephen", the first Christian martyr, is celebrated on 26 December. Notker Balbulus († 912) composed a piece for St. Stephen's Day based on a "Concordia" sequence which can be traced back to the 8th century. The celebration of Christmas is completed by Epiphany and hence the Spanish cantiga "Pois que dos Reys" describes the Magi worshipping the infant Jesus.

The extraordinary wealth of Christmas music is partly due to its enormous significance in both religious terms and within traditional customs and piety. Moreover, the duration of the entire festival of Christmas (almost two months from Advent and the period of fasting until Epiphany) provides numerous occasions for celebration and musical activities. We hope the selection presented here imparts something of the broad variety this rich musical genre has to offer.










1. Veni, redemptor gentium

Die gespannte Erwartungsstimmung der Adventszeit drückt der Hymnus »Veni, redemptor gentium« aus, dessen Text man Ambrosius von Mailand zuschreibt. Ambrosius hatte den liturgischen Hymnengesang in der Westkirche eingeführt. Nach ihm trägt die metrische Grundform der Hymnen (vierzeilige Strophen in iambi-schen Dimetern) den Namen Metrum Ambrosianum. Die gleichsam tastend-suchende Melodie, die an »das Volk, das im Finstern wandelt« (Jesaja 9,2) zu erinnern scheint, ist für das r2. Jahrhundert aus dem Kloster Einsiedeln überliefert. Bis zum heutigen Tage gehört dieser Hymnus zu den bekannten Adventsliedern, besonders durch die weite Verbreitung der Übersetzung Martin Luthers (1524: »Nun komm, der Heiden Heiland«).

This hymn expresses the atmosphere of keen anticipation throughout Advent. The words are attributed to Ambrosius of Milan. It remains one of the most well-known Advent songs, particularly on account of its 1524 translation by Martin Luther, "Nun komm, der Heiden Heiland" ("Now cometh the heathens' Saviour").


2. In hoc anni circulo (instrumental)
siehe Nr. 5 / Instrumental version of track 5


3. Nun singen wir: frofro

In volkssprachlicher Dichtung und eingängiger Melodik erklingt die Freude über die Geburt Jesu, Jubel zu seinen Ehren und die ersten verhaltenen Bitten, das von den Stricken der Sünde umfangene irdische Leben gegen das ewige Himmelreich einzutauschen. Im Hohenfurter Liederbuch, das um 1460 im bayrisch-österreichischen Raum entstand, spiegeln »ethlich geistlich lieder, doch in weltlich weysen« eine wachsende Volksfrömmigkeit. So erhielt auch Weihnachten — die christianisierte römisch-heidnische Sonnenwendfeier — einen zunehmend volksfestartigen Charakter, und liturgisch ungebundene Lieder waren in aller Munde.

Using verse based on popular speech, this song expresses the joy at the birth of Christ, jubilation in his honour and the first subdued appeals for life on earth embroiled in sin to be exchanged for eternal life in the Kingdom of Heaven.


4. In dulci iubilo (instrumental)

Die älteste lateinisch-deutsche Fassung dieses Liedes ent-stammt einer um 1400 (möglicherweise in Schlesien) verfaßten Handschrift, die heute in der Universitätsbibliothek Leipzig (Nr. 1305) aufbewahrt wird. Hier steht das Lied in enger Nachbarschaft zu »Joseph, liber neve myn« und wurde vielleicht wie dieses bei der Aufführung von Weihnachtsspielen gesungen. In der Einspielung erklingt die Melodie instrumental in einem an die Alta capella erinnernden Satz, der im Fauxbourdonstil des 15. Jahrhunderts improvisiert wurde.

The oldest Latin-German version of this song is to be found in a manuscript dating back to ca. 1400 (possibly from Silesia), nowadays preserved in the library of Leipzig University (no. 1305). This recording includes an instrumental version with an arrangement reminiscent of alta capella improvised in r5th century Faux Bourdon style.


5. In hoc anni circulo

Eine der frühesten Aufzeichnungen eines südfranzösischen volkssprachlichen (okzitanischen) Liedes findet sich in der Handschrift von St. Martial aus dem 12. Jahrhundert. Alternierend schrieb man je eine Liedstrophe in Latein (»In hoc anni circulo«) und eine in Limousin (»Mei amic e mei fiel«), einem der okzitanischen Dialekte, auf, was deutlich die Nähe zur Troubadour-Lyrik Südfrankreichs zeigt. Der für diese Einspielung ausgewählte lateinische Text beschreibt in schlichter, beinahe volkstümlicher Schönheit die Geburt Jesu im Stall von Bethlehem. Die lateinische Fassung des Liedes war weit verbreitet. So findet sie sich auch, allerdings mit einer schlichteren Melodie, unter den Weihnachtsliedern der schon erwähnten Leipziger Handschrift.
Die Melodie kommt noch einmal in einer rein instrumentalen Fassung, ausschließlich auf Saiteninstrumenten, zur Geltung (Nr. 2).

An 12th century manuscript from the Benedictine Abbey of Saint Martial contains one of the earliest records of an Occitan song from southern France. Occitan songs contained verses alternating in Latin and Limousin (one of the Occitan dialects), thus demonstrating the dose link to the lyric poetry of troubadour song emanating from the south of France. The Latin text chosen for this recording uses words of simple beauty to depict the stable in Bethlehem. Track 2 features an instrumental version of the melody arranged exclusively for stringed instruments.


6. Concordia (instrumental)

Das Sequenzformular »Concordia« war im Mittelalter sehr beliebt. Uns sind mindestens zwanzig Textierungen dieser Melodie bekannt. Die Urfassung ist die Mariensequenz »Gaude eia, unica columba«. Sie muß nach 840 in Nordfrankreich entstanden sein. Darauf weist der im Text erwähnte Normanneneinfall hin: »de gente fera nos libera normannica«, daher auch die der Melodie den Namen gebende Friedensbitte: »dona nobis pacem atque concordiam« Die älteste Niederschrift dieser Sequenz findet sich im Antiphonar Karls des Kahlen († 877) und ist in Metzer Neumen notiert.
Wir haben das musikalische Material dieser Sequenz in die Form der Estampie »umgegossen«. Das bot sich nicht nur an, weil die Estampie eine der Sequenz sehr nahe verwandte musikalische Gattung ist (Doppelverse!), sondern vor allem auch deshalb, weil »Gaude eia, unica columba« aus einzelnen Melodieabschnitten besteht, die im Verlauf der Sequenz mehrfach wiederholt werden (archaische Sequenz). Für diesen Sequenztypus ist es charakteristisch, daß sich keine Beziehung zu einem Alleluiaiubilus und damit zu einem bestimmten Festtag im Kirchenjahr auf-zeigen läßt. Lediglich die Beziehung zum Marienfestkreis ist sicher.

The "Concordia" sequence form was very popular in the Middle Ages and at least 20 different sets of words sung to this melody are known. The original version is the sequence of the Virgin Mary "Gaude eia, unica columba", which was written in northern France after 840 AD.


7. Ave, mueter küniginne
siehe Nr.13 / see track 13


8. Vrœt ùch alle
Sicut Lætabundus verbum et melodiam
siehe Nr.12 / see track 12


9. Gabriel fram evene king

Das mittelenglische Lied »Gabriel fram evene king« ist in einer franzis-kanischen Handschrift aus dem späten 13. Jahrhundert überliefert. Diese Handschrift, die aus dem Besitz des Londoner Franziskanerkonvents stammt, enthält neben mittelenglischen auch französische und lateinische Lieder. »Gabriel fram evene king« beschreibt in einem lebendi-gen Dialog zwischen dem Erzengel und Maria die Verkündigung der Geburt Christi. Das Lied ist die Übertragung des lateinischen »Angelus ad virginem« ins Mittelenglische, welches in enger Beziehung zur mittelhochdeutschen Sprache steht. Die Volksnähe der Nacherzählung der biblischen Geschichte, ihre Dramatisierung läßt sich den neuen religiösen Idealen des Ordens der Minderbrüder zuordnen: Franziskaner suchten nicht meditative Abgeschiedenheit, sondern die Nähe der Gläubigen, um durch Seelsorge und Armenpflege in die Nachfolge Christi einzutreten. Grundlage für den christlichen Glauben ist nach franziskanischer Auffassung das Verständnis der Heiligen Schrift. Die beinahe derbe Volkstümlichkeit des vorliegenden Liedes ist so gesehen nicht Zeichen einer Verwässerung religiöser Substanz, sondern von seelsorgerisch motivierter Verdeutlichung der Glaubensinhalte geprägt. Dem kam sicherlich auch die noch für unsere Ohren typisch englische Melodie entgegen.

The Middle English song "Gabriel fram evene king" was handed down in a Franciscan manuscript from the late 13th century. In lively dialogue it describes the angel Gabriel's announcement to Mary that she was to be the mother of Jesus. 'The manuscript stems from London Franciscan Convent's collection.


10. Joseph, liber neve myn

Bekannter als die weitaus ältere, lateinische Weihnachtskanzone »Resonet in laudibus« ist heute die deutsche Fassung »Joseph, liber neve myn«, die erstmals um 1400 in einer Handschrift aufgezeichnet wurde, die heute in der Universitätsbibliothek Leipzig liegt. Der entsprechende Abschnitt enthält Lieder und Hymnen für die höchsten Feiertage des Jahres: Ostern und Weihnachten. Beide Feste fanden nicht selten ihren Höhepunkt in der Aufführung volkssprachlicher Evangelienspiele, bei denen Sänger und Instrumentalisten mitwirken konnten.
Zum Lied »Joseph, liber neve myn« gibt die Leipziger Quelle Anweisungen für die Ausführung mit verteilten Rollen. Während Maria und Joseph das Kindlein wiegen, »sullen alle menschen zwar mit ganzen frouden kommen dar« (chorus).

The German version "Joseph, liber neve myn" (first recorded in a manuscript dating back to ca. 1400 now kept in the library of Leipzig University), is better known than the much older Latin carol "Resonet in laudibus". The source also includes performance instructions featuring different parts, similar to a Gospel play.


11. Sis willekommen, herre Kerst

Dieses ist das älteste deutsche Weihnachtslied, das als Aachener Weihnachtslied bekannt ist. Während es im Evangeliar Kaiser Ottos III. (983—1002) als spätere Eintragung aus dem 14. Jahrhundert leider nur fragmentarisch überliefert ist, gibt die Erfurter Handschrift von etwa 1400 eine vollständige Strophe wieder. Anders als die deutschsprachigen Lieder des 13. Jahrhunderts, die wohl im allgemeinen Gebrauch waren und meistenteils in die nun angefertigten Lieder- und Gesangbücher aufgenommen wurden, war dieser Gesang in Aachen fest in die  Weihnachtsliturgie eingebunden. Sicher war es dem ersten Schöffen der Stadt Aachen eine besonders hohe Ehre, auf die Verkündigung des Weihnachtsevangeliums mit dem Gruß: »Sis willekommen, herre Kerst« antworten zu dürfen.

The oldest German Christmas carol, "Sis willekomen, herre Kerst" is also known as the Aachen Carol as it formed an essential part of the town's Christmas liturgy. Instead of the congregation, the Aachen's first lay judge responded to the proclamation of the Christmas gospel with the greeting "Sis willekomen, herre Kerst" ("Welcome, Christ the Lord").


12. Lætabundus exsultet fidelis chorus

Die französische Sequenz »L&ae;tabundus exsultet fidelis chorus« gehört zu den am weitesten verbreiteten Weihnachtssequenzen. Sie findet sich unter anderem auch im Leipziger St.-Thomas-Graduale. Der Grund für diese Beliebtheit möchte ihr ausgesprochen freudiger musikalischer Charakter sein. So ist diese Sequenz ein Beispiel dafür, wie Ausdrucksmittel der weltlichen Musik auch in die liturgische Praxis Eingang finden — hier wohl, um der ausgelassenen Freude des Weihnachtstages Ausdruck zu verleihen. Gerade in Sequenzen findet diese Freude ihre liturgische Form, insbesondere wenn man bedenkt, daß in der dem Weihnachtsfest vorausgehenden Adventsfastenzeit keine Sequenzen erklangen.

Auffällig an der Sequenz »L&ae;tabun-dus exsultet fidelis chorus« ist zum einen ihre durch Text und Melodie gleichermaßen unterstützte klare rhythmische Gestalt, die an Tanzmu-sik erinnert, und zum anderen die beinahe reigenartig wiederholten Schlußfloskeln in den ersten drei Doppelversikeln, wobei diese jeweils mit dem Vokal »a« enden, der vom ersten Alleluia vorgegeben ist.

Der Text freilich verdeutlicht die scharfe antijudaistische Einstellung im Mittelalter. In für uns nicht nachvollziehbarer Überheblichkeit wird mit der Freude über die Geburt des Heilandes auch der Triumph der Ecclesia über die Synagoge mitgedacht — gleich den plastischen Allegorien wie sie in die Bildprogramme zahlreicher Kirchenbauten einbezogen wurden.

Den Juden wird vorgeworfen, sie würden, indem sie die Prophezeihungen der Bibel nicht auf Jesus Christus anwendeten, ihre eigene Religion nicht recht verstehen. Sie blieben blind und ohne Heil, wenn sie sich nicht bekehrten. Aus diesem bitteren Vorwurf spricht die religiöse Intoleranz des mittelalterlichen Christentums, die ein schweres Erbe der abendländischen Kultur wurde. Andererseits vermag uns die Schärfe dieser Auseinandersetzung auch zu verdeutlichen, von welch existentieller Bedeutung die Wahrheit der religiösen Heilszusagen für den Gläubigen war, und wie bedrohlich daher ihre Anfechtungen, insbesondere durch andere Religionen, empfunden worden sind. Sowenig jedoch die religiöse Intoleranz dieser Epoche für uns nachvollziehbar ist, so sehr sind wir von historischen Zeugnissen ergriffen, die die Plastizität und Allgegenwart der Vorstellungen vom Leben in der Jenseitigen Welt im geistlichen Horizont des mittelalterlichen Menschen dokumentieren.

Von der außerordentlichen Beliebtheit dieser Sequenz zeugt auch eine nahezu wörtliche Übertragung ins Mittelhochdeutsche, die im Kodex Engelberg aus den 70er Jahren des 14. Jahrhunderts überliefert ist: »Vœet itch alle«. Die Übertragung von Sequenzen in die Volkssprache ist auch in der Spätzeit der Sequenzenentwicklung eine ausgesprochene Seltenheit und unterstreicht in unserem Falle den besonders volkstümlichen Charakter des Weihnachtsfestes im ausgehenden Mittelalter. Im Gegensatz zum Text, der im Bemühen um Verständlichkeit in die Volkssprache übertragen wurde, steht die Melodie, die im Kodex Engelberg überliefert ist. Diese hat die musikantische Ursprünglichkeit der französischen Urfassung zugunsten einer mehr stilisierten, verzierungsreicheren Gestik aufgegeben und erscheint beinahe als eine romantisierende Reflexion über das bei allen als bekannt vorauszusetzende Original.

The French sequence "Lætabundus exsultet fidelis chorus" is one of the best-known Christmas sequences. One noticeable aspect is its clear rhythmic structure borne equally by the words and the melody, and which is suggestive of dance music. However, the lyrics illustrate the fiercely anti-Semitic attitude of the Middle Ages. With a sense of arrogance incomprehensible to us, joy at the birth of the Saviour is combined with the triumph of the ecclesia over the synagogue. The Jews are accused of failing to properly understand their own religion by not applying the prophecies of the Bible to Jesus Christ and are threatened with blindness and the denial of salvation should they not convert. This bitter recrimination reflects the religious bigotry of medieval Christendom — a shameful legacy of occidental culture. Nevertheless, the intensity of this dispute brings home just how important the truth of the promise of redemption was for the believer, as well as how threatening any challenges to its authority (particularly those presented by other religions) were perceived to be. Even if this religious intolerance is unfathomable to us, we may nevertheless be moved by such historical evidence in the medieval intellectual world documenting the vividness and omnipresence of conceptions of life hereafter. The extraordinary popularity of this sequence is also illustrated by the almost literal translation in Middle High German from the 1370s, "Vrœt ùch alle", contained in the Codex Engelberg.


13. Ave mater, o Maria

Die Lauda »Ave mater, o Maria« stammt aus dem spätmittelalterlichen Italien des frühen 13. Jahrhunderts. Als Lauden bezeichneten sich Laienbruderschaften in den italienischen Stadtrepubliken, die sich dem gemeinsamen Gotteslob (lat./ ital.: laudare — loben) verpflichtet hatten. Das Besondere dieser Gemeinschaften waren ihre außerordentlich fröhlichen, ausgelassenen Gottesdienste, zu denen man sich täglich für mehrere Stunden traf. In diesen Gottesdiensten wurde jeweils das ganze Kirchenjahr, die ganze Heilsgeschichte in komprimierter Form dargestellt. Musikalisch waren die Laudesi von der weltlichen Musik des italienischen Trecento beeinflußt. Die Lauda »Ave mater, o Maria« ist eine Kontrafaktur eines weltlichen Liedsatzte. Die Anfangsworte ihrer Strophen ergeben hintereinander gelesen, gewissermaßen als versteckten Schmuck allein zur Ehre Gottes, das »Ave Maria«, den Gruß des verkündigenden Erzengels Gabriel.

Das um 1433 in Italien entstandene Lied »Ave, mueter küniginne« ist die sehr gefühlvolle und poetische Übertragung dieser Lauda durch Oswald von Wolkenstein (1377-1445). Oswald übersetzte nur die ersten vier Strophen aus dem Lateinischen ins Deutsche. Durch die bildhafte Sprache Oswalds gewinnt das Stück eine neue Schönheit. Der kunstvolle dreistimmige Satz folgt dem italienischen Vorbild.

The lauda "Ave mater, o Maria" comes from late medieval Italy. It is a contrafact of a secular arrangement. The song "Ave, mueter which was composed in Italy in 1433 or thereabouts, is a sensitive, very poetic translation of this lauda by Oswald von Wolkenstein; indeed, the song is lent new beauty by the vividness of Oswald's language. The elaborate three-part arrangement follows the Italian model.


14. O Maria, stella maris (instrumental)

Im 12. Jahrhundert wurde Paris mehr und mehr zum Zentrum der abendländischen Kultur. Hier wurde die erste gotische Kirche gebaut (Saint Denis), hier entwickelte sich die neue Musizierpraxis der Notre-Dame-Schule, die Pariser Universität wurde zum Zentrum europäischen Geisteslebens. So verbinden sich mit dem weltberühmten Pariser Chorherrenstift Saint Victor nicht nur bedeutende Denker wie Hugo und Richard von Saint Victor, sondern man widmete sich hier auch der Dichtkunst: Adam von Saint Victor († 1177) entwickelte einen neuen Stil der Sequenz, die Reimsequenz. Neben gereimten Versikeln einheitlichen Versmaßes haben diese Sequenzen eine eigene, vom Alleluiaiubilus unabhängige Melodie. Für die Mariensequenz »O Maria, stella maris« greift Adam dabei im ersten Versikel auf die Melodie des Hymnus' »Ave, maris stella« zurück, um dann in sieben weiteren Versikeln mit musikalischer Phantasie dieses »Thema« zu variieren. In instrumentaler Interpretation zeigen Portativ und Schalmei die Schönheit dieser neuen, von der weltlichen Liedkunst beeinflußten liturgischen Musik des 12. Jahrhunderts.

In the world-famous Abbey of St. Victor in Paris, particular attention was devoted to poetry, and Adam de Saint Victor († 1177) developed a new sequence style, namely the rhymed sequence. In the first verse of the sequence to the Virgin Mary "O Maria, stella maris", Adam falls back upon the melody of the hymn "Ave, maris stella".


15. Hanc concordi famulatu colamus sollemnitatem

Der Dichter Notker Balbulus († 912) aus dem Kloster St. Gallen verwendete das Sequenzformular »Concordia« zweimal: für seine Peter-und-Paul-Sequenz und für seine Stephanus-Sequenz. Letztere steht im Zusammenhang mit dem Weihnachtsfestkreis, weil das Fest des Erzmärtyrers Stephanus unmittelbar auf den Christtag folgt. Notker hat in freiem Umgang mit der Vorlage den Aufbau grundlegend geändert. Er beseitigte oder kaschierte vor allen Dingen die Wiederholungen einzelner Abschnitte der Melodie und erreicht damit einen neuen Charakter. Zusätzlich unterstützt der Text diese Neuanlage. Bleibt der Blick Notkers bis zum ersten Doppelvers ganz auf der sich versammelnden Gemeinde ruhen, erfolgt im zweiten Doppelvers die erste vorsichtige Anrede des Erzmärtyrers. Dann folgt im dritten Doppelvers die Begründung der Anrufung: Gerade auf das Flehen des Stephanus hin sei aus dem Christenverfolger Saulus der Apostel Paulus geworden, der nun gemeinsam mit Stephanus im Reigen der Himmlischen tanzt. Das Verb »tripudiare« weist auf die mittelalterliche Vorstellung der in himmlischer Seligkeit tanzenden Heiligen hin, die Christus umringen, der in einem Sieges- und Freudentanz das Böse in der Welt »zertanzt«. Im vierten Doppelvers folgt aus der Rückbesinnung auf die sich versammelnde irdische Gemeinde eine flehende Bitte um Fürsprache.

Damit könnte die Sequenz beendet sein. Doch bei Notker folgt nun noch eine gleichsam visionäre Schau des von Christus durch Petrus auserwählten ersten Diakons Stephanus. So wie Stephanus bei seiner Steinigung durch die Schau der himmlischen Herrlichkeit getröstet wurde, soll auch die in der Welt versammelte Gemeinde durch Anschauung des gekrönten, purpurgewandeten Märtyrers Trost empfangen. Dieser Mittlerschaft und Stellvertretung gibt Notker noch durch ein Sprachspiel Ausdruck: Das letzte Wort der Sequenz, »coronatus« (Gekrönter), ist die lateinische Übersetzung des Namens des Märtyrers »Στέφανος«.

The poet Notker Balbulus († 912) from the Monastery of St. Gallen used the "Concordia" sequence form twice: for his Peter and Paul sequence and for his St. Stephen sequence. The latter is related to the celebration of Christmas as the feast of this first Christian martyr is celebrated on Boxing Day.


16. Eyn hillich dach und eyn hilch nacht unde eyn salich nyge iar

Das Rostocker Liederbuch, das in der Zeit um 1470o wahrscheinlich im Kreise von Studenten oder Gelehrten der Universität Rostock entstand, enthält neben etlichen Liedern, die sich auch in anderen deutschsprachigen Sammlungen des 15. Jahrhunderts finden lassen, zahlreiche rein niederdeutsche Lieder. Zu ihnen gehört auch das Weihnachtslied »Eyn hillich dach und eyn hilch nacht unde eyn salich nyge iar«. Der diesem einleitenden Wunsch folgende knappe Bericht von der Geburt Christi mündet in die Bitte um den Segen Mariens. Jeder Strophe folgt als Refrain eine Anrufung Gottes. Auffällig ist die verhalten schwingende Melodie des Liedes, die den archaischen Reiz einer verschleierten Pentatonik trägt.

The Rostock Songbook, which was compiled in ca. 1470, contains numerous songs written purely in Low German, one of these being "Eyn hillich dach und eyn hilch nacht unde eyn salich nyge iar". The song has a prayer structure with each verse being followed by a refrain which is an invocation of God. The hidden pentatonic scale lends this melody a particular appeal.


17. Pois que dos Reys

Am Ende der Weihnachtszeit steht das Dreikönigsfest. Noch einmal erschallen Freude und Lobpreis, doch kündigt sich bereits das Unheil der Herodes-Geschichte an. So enthält auch »Pois que dos Reys« — nachdem von den fernen Ländern und den Großen Arabiens und der weiten, dem Stern folgenden Reise der Weisen berichtet wurde — die Begegnug der drei Magier aus dem Morgenland mit König Herodes: »Herodes fragte: ›Was sucht Ihr hier?‹ Sie antworteten ihm: ›In dem Stern sahen wir, daß ein König, sehr edel, hier geboren ist, der Herr der Juden und des Gesetzes.‹ Herodes erwiderte: ›Glaubt mir, einen guten Rat gebe ich Euch: Geht und kommt zurück von dort, damit ich dann selbst gehe, Ihn kennenzulernen.‹«
Die Cantigas de Santa Maria, die im 13. Jahrhundert unter Alfonso X. »El Sabio«, dem König von Kastilien und Leon, aufgezeichnet wurden, enthalten mehr als 400 Gesänge, die zumeist Wundertaten der Jungfrau Maria beschreiben. Lieder mit rein biblischem Inhalt wie »Pois que dos Reys« finden sich in dieser Sammlung seltener.

The songs to the Virgin Mary of the 13th century Cantigas de Santa Maria also include a number of Christmas-related songs. Epiphany marks the end of the Christmas season. Although rejoicing and praising are again to be heard, the catastrophe of King Herod's reaction to Christ's birth is already in the air. "Pois que dos Reys" thus relates the meeting of the Three Magi from the east with King Herod, as well as their journey and their adoration of Jesus.


18.
Redeuntes in idem re
Ave, maris stella

Seit dem 10. Jahrhundert findet die Orgel zunehmenden Gebrauch in der Kirchenmusik. Als »Musikautomat« bestaunt und ob ihrer »universalen« Klangkraft geschätzt, war die Orgel ebenso wie Glockenspiel und Glockenrad der besonderen Feierlichkeit hoher Feste vorbehalten. »Solch tieffes grobes brausen und greuliches grümmeln; auch wegen vielheit der MixturPfeiffen/ein überaus starcken schall und laut/und gewaltiges geschrey« (Praetorius, 1619) kann auf der Orgel der Stiftskirche zu Wechselburg, die nach spätmittelalterlicher Disposition gebaut wurde, nachempfunden werden.
Das »Redeuntes in idem re« entstammt dem Buxheimer Orgelbuch, das um 1470 entstand. Es ist die umfangreichste Sammlung von Orgelmusik des 15. Jahrhundert, deren Entstehen der zu Nürnberg geborene Organist Conrad Paumann (um 1413-1473) maßgeblich beeinflußt haben wird.

Der siebenstrophige Hymnus »Ave, maris stella« gehört zu den am meisten gesungenen Marienhymnen (Vesper samstags und an Marienfesten). Die älteste Fassung dieses Stückes stammt aus einem Hymnar des Zisterzienserordens, das sich als Kopie in der Colmarer Handschrift 442 aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts erhalten hat. Ebenso wie der Zisterzienserorden fand, womöglich in dessen Gefolge, auch dieser Hymnus rascheste Ausbreitung im gesamten Abendland. Gehörte doch eine intensiv gepflegte Marienverehrung zu den Charakteristika zisterziensischer Frömmigkeit. Die Assoziation der Gottesmutter mit dem Meerstern ist ein im Mittelalter geläufiges Bild, das unter anderem auch in den Predigten des Bernhard von Clairvaux (1090-1153), des wohl berühmtesten Zisterziensers, auftaucht. Dabei gilt die Reinheit des Sternenlichtes (vgl. Sequenz »Vr&oe;t ùch alle« Strophe 3) als Gleichnis des ewigen Lichtes, in dem die gekrönte Maria thront.

Often admired as a "musical box" and appreciated for its universal sound the organ (like the glockenspiel and the bell wheel) was reserved for special festivities. The sound of late medieval organ music can be perceived from the organ in Wechselburg Collegiate Church, which was built on the basis of historical plans. "Redeuntes in idem re" comes from the Buxheim organ book, which was written in around 1470, probably under the influence of the organist Conrad Paumann (ca. 1413 to 1473).

The hymn "Ave, maris stella" is one of those most frequently sung to the Virgin Mary. The oldest source of this piece of music is a 12th century Cistercian hymnbook.










Das Ensemble IOCULATORES,
gegründet 1984, beschäftigt sich seit 1988 ausschließlich mit der Musik des abendländischen Mittelalters. Besondere Aufmerksamkeit widmet es der Aufführung instrumentaler Musik, die eng mit der Geschichte und Praxis des Instrumentenbaus verbunden ist.

Die Notation und Ausführung mittelalterlicher Musik rechnet fest mit dem improvisatorischen Können der Musiker. Auf der Grundlage des Studiums der Instrumente, der musikalischen Gestaltungsprinzipien und des geschichtlichen wie auch kunsthistorischen Umfeldes ist das Ensemble IOCULATORES um eine historische Auffiihrungspraxis bemüht, die spielmännische Lebendigkeit und stilgerechte Improvisation vereint.

Die Musiker von IOCULATORES sind Absolventen bzw. Studenten der Hochschule für Musik Leipzig, der Universität Leipzig und der Schola Cantorum Basiliensis.

Neben Konzerten, die die vitale Vielfalt Mittelalterlicher Musik verschiedener Landschaften und Jahrhunderte zu Gehör bringen, gilt das Interesse des Ensembles IOCULATORES der Erarbeitung besonderer thematischer Programme. Diese widmen sich ausgewählten Musikformen, historischen Persönlichkeiten, Ereignissen und Gebieten oder nehmen Bezug auf die Geschichte des jeweiligen Veranstaltungsortes. Anhand historischer Zusammenhänge, von Bräuchen und Sitten der mittelalterlichen Gesellschaft sollen Eigenheiten und Gemeinsamkeiten der abendländischen Völker, ihre kulturellen Berührungspunkte sowie ihre Kontakte zur Welt des Orients lebendig werden.

Ebenso versteht das Ensemble IOCULATORES die Verbreitung des Wissens um Musik und Kultur des Mittelalters als seine Aufgabe. In Konzerten wie in speziellen Veranstaltungen zur Musik und ihrem besonderen Instrumentarium (Schülerkonzerte, Vorträge) kann dem Beginn unserer abendländischen Kultur nachgespürt werden. Seit 1991 ist das Ensemble alljährlich Initiator und Veranstalter der »Internationalen Tage der mittelalterlichen Musik in Sachsen-Anhalt«, die seit 1993 auf der Neuenburg stattfinden. Dieses Festival ist zum Treffpunkt für Musiker und Musikfreunde geworden.

Bereits als CD erschienen (Best.-Nr. RK 9301):
IOCULATORES
Lieder und Tänze des 13.-15. Jahrhunderts



IOCULATORES

The ensemble IOCULATORES was founded in 1984. Four years later, its members decided to dedicate themselves entirely to medieval occidental music performed on instruments typical of those used in the 9th-15th centuries. The instruments are reconstructed on the basis of rare originals still in existence, historical illustrations and period descriptions.

In keeping with the tradition of the original Ioculatores (minstrels), the ensemble performs a number of different concert programmes. Its repertoire includes secular medieval dance music and courtly love songs, as well as concerts devoted to specific themes.
IOCULATORES is made up of students past and present of Leipzig College of Music, the University of Leipzig and Schola Cantorum Basiliensis. The ensemble has performed throughout Germany and also toured Russia and France on a number of occasions. Following radio and TV performances, IOCULATORES' first CD was released in 1993.
Since 1991, the ensemble has organised the annual "International Days of Medieval Music". A meeting place for both musicians and music-lovers alike, the festival was first staged in Neuenburg Castle, its current venue, in 1993.





Der Mädchenehor der SCHOLA CANTORUM LEIPZIG

Die SCHOLA CANTORUM LEIPZIG in ihrer heutigen Form besteht erst seit 1993 und ist aus dem ehemaligen Leipziger Kinder- und Jugendchor schola cantorum hervorgegangen, welcher bereits im Jahre 1963 gegründet wurde. Sie ist eine Einrichtung der Stadt Leipzig und untersteht dem Schulverwaltungsamt.

Heute umfaßt die SCHOLA CANTORUM LEIPZIG mehrere Ensembles: die  vokale Grundstufe, den Kinderchor, den Mädchenchor und den gemischten Kammerchor. Prinzip der SCHOLA CANTORUM LEIPZIG ist es, durch Ausbildung von Kindern ab dem 6./7. Lebensjahr in der vokalen Grundstufe auf der Grundlage der Kodály'schen Singschule den eigenen Sängernachwuchs heranzubilden.

Der Mädchenchor hat heute etwa 50 Mitglieder im Alter von 14 bis 26 Jahren, größtenteils Schülerinnen verschiedener Leipziger Schulen, aber auch Lehrlinge, Studenten und Berufstätige.

Vor allem durch die Interpretation selten zu hörender geistlicher Chormusik des 19. und 20. Jahrhunderts erlangte das Ensemble Aufmerksamkeit. Einen weiteren Schwerpunkt in der Arbeit bildet die Erarbeitung und Aufführung von Kompositionen des frühen 17. und 18. Jahrhunderts unter Berücksichtigung der Erkenntnisse auf dem Gebiet der historischen Musizierpraxis.

Regelmäßige Konzerte in Kirchen und Konzerthäusern der Heimatstadt und Reisen in fast alle Regionen Deutschlands bezeugen den guten Ruf des Ensembles. Die ersten Auslandsreisen seit der Neugründung führten das Ensemble nach Ungarn und Südafrika. Weitere Konzertreisen nach Italien, Frankreich und Ungarn sind geplant.

1992 wurde Eckhardt Budrowitz als neuer Leiter des ehemaligen Leipziger Kinder- und Jugendchores schola cantorum in das Amt eingeführt. Auf seine Initiative hin erfolgte 1993 die Umstrukturierung des Ensembles in die heute bestehende Form. Er studierte un der Hochschule für Musik »Franz Liszt« in Weimar im Hauptfach Chordirigieren bei Prof Geri Frischmuth.



SCHOLA CANTORUM LEIPZIG Girls Choir

Continuing the tradition of the Leipzig Children's and Youth Choir founded in 1963, SCHOLA CANTORUM LEIPZIG was established in its present form in 1993. It consists of a number of ensembles: a group of very young singers who learn the basics of choir singing, the Children's Choir, the Girls Choir and the Mixed Chamber Choir. The principle of SCHOLA CANTORUM LEIPZIG is to start training children from the age of 6 or 7 on the basis of the Kodály Method to ensure there are enough young competent singers for the ensembles.
The Girls Choir of SCHOLA CANTORUM LEIPZIG includes about 50 singers aged 14-26: schoolgirls, students, trainees and young professionals. The Girls Choir has largely come to prominence through its interpretation of rarely performed sacred choral music of the 19th and 20th centuries.

Eckardt Budrowitz, whose qualifications include degree in choir conducting at the "Franz Liszt Academy of Music" in Weimar, took over as choirmaster of SCHOLA CANTORUM LEIPZIG in 1992.