Minnesänger in Österreich
Dulamans Vröudenton






IMAGEN





1 - Meie dîn [Instrumentalfassung]   [3:54]
Musik: Neidhart "von REUENTAL" (1. Hälfte 13. Jahrhundert), "Riedegger Handschrift", Niederösterreich Ende 13. Jahrhundert, Berlin mgf.1062
Darabuka, Sopraninoblockflöte, Fingerzimbeln, Schoßharfe, Dulcimer, Soprancornamuse

2 - Under der linden   [3:54]
Text: Walther von der VOGELWEIDE (ca. 1170-1230), "Manessische Liederhandschrift", Anfang 14. Jahrhundert, Heidelberg cpg 848
Musik: Kontrafaktur auf die Melodie des Liedes "En mai au dous tens novel" eines anonymen Trouvéres, Handschrift 13. Jahrhundert, Paris 5198, HS 2. Hälfte 13. Jahrhundert, Paris nouv. acq. fr. 1050
Schweinskopfpsalter, Fingerzimbeln, Tenorblockflöte; Gesang: Martina Noichl

3 - Ich het czu hannt   [3:20]
Text & Musik: MÖNCH von SALZBURG (2.Hälfte 14. Jh.), Mondsee-Wiener Handschrift 1472, Wien nr. 2856
Schellenband, Sopraninoblöckflöte, Gotische Harfe geschnarrt, Dulcimer, Alt- und Tenorcornamuse, Renaissancedrehleier, Soprancornamuse; Gesang: Andreas Gutenthaler

4 - Fro welt   [4:47]
Text: Hugo von MONTFORT (1357-5.4.1423)
Musik: Burk MANGOLT, Handschrift 1414/15 (Fertigstellung), Heidelberg cpg 329
Schweinskopfpsalter, Dulcimer, Glocke, Schellenkranz; Gesang: Thomas Schallaböck, Martina Noichl

5 - CB 200. Bache bene venies [Instrumentalfassung]   [1:40]
Musik: "Carmina Burana", Codex Buranus, Aufzeichnungsbeginn um 1230, München clm. 4660, Noten überliefert durch: "Ludus Danielis", Kloster von Beauvais (Nordfrankreich) ca. 1230, London Egerton fol.101
Gotische Kastendrehleier, Tenorblockflöte, Dulcimer, Sopranblockflöte, Schellenkranz

6 - Zart liepster hort   [3:23]
Text & Musik: Dießenhofener Liederblatt (recto), Ende des 14. Jh., Zürich Privatbesitz
Gotische Harfe, Tenorgemshorn, Dulcimer, Tenorblockflöte; Gesang: Andreas Gutenthaler

7 - Fastnachtslied   [3:00]
Text & Musik: Dießenhofener Handschrift (verso), Ende des 14. Jh., Zürich Privatbesitz
Gotische Harfe geschnarrt, Renaissancedrehleier, Baßblockflöte, Fingerzimbeln; Gesang: Andreas Gutenthaler

8 - Der maide muoter   [3:40]
Text & Musik: Neidhart von "REUENTAL", Handschrift ca. 1460, Berlin
Tenor-Baßgambe, Dulcimer, Baßblockflöte, Sopranblockflöte; Gesang: Martina Noichl

9 - Pey perlin und pey spangen [Instrumentalfassung]   [2:44]
Musik: MÖNCH von SALZBURG, Mondsee-Wiener Handschrift 1472, Wien nr. 2856
Gotische Harfe geschnarrt, Darabuka, Fingerzimbeln

10 - Nu huss   [2:15]
Text & Musik: Oswald von WOLKENSTEIN (ca. 1377-1445)

11 - Palästinalied   [5:19]
Text & Musik: Walther von der VOGELWEIDE, "Manessische Liederhandschrift" Anfang 14. Jahrhundert, Heidelberg cpg 848, Münsterer Fragment, 14. Jh., Münster
Arabische Laute, Baßblockflöte, Tamburin, Soprancornamuse; Gesang: Andreas Gutenthaler

12 - We warumbe   [4:35]
Text: Ulrich von LICHTENSTEIN (ca. 1200-1275), "Manessische Liederhandschrift" Anfang 14. Jahrhundert, Heidelberg cpg 848, Handschrift um 1300, München cgm. 44
Musik: Kontrafaktur wahrscheinlich auf ein unbekanntes Trobadorslied des 12./13. Jahrhunderts, dessen Melodie durch das altfranzösische Lied "Onquez mais mainz esbahis" überliefert wurde, Handschrift R, Paris fr. 1591
Schoßharfe, Tenorblockflöte, Sopraninoblockflöte, Fingerzimbeln, Schellenkranz, Darabuka; Gesang: Thomas Schallaböck

13 - Wol drey gesellen gut   [3:31]
Text & Musik: Michel BEHEIM (1416/1421 - 1474/1478), Manuskript ca. 1460, Heidelberg cpg 312
Dulcimer, Tenorcornamuse, Altcornamuse, Kuhhörner, Sopraninoblockflöte, Sopranblockflöte, Fingerzimbeln; Gesang: Martina Noichl, Andreas Gutenthaler, Thomas Schallaböck, Peter Rauter

14 - CB 196. In taberna quando sumus   [4:02]
Text & Musik: "Carmina Burana", Codex Buranus, Aufzeichnungsbeginn um 1230, München clm. 4660, Noten überliefert im "Ludus Danielis", Kloster von Beauvais (Nordfrankreich) ca. 1230, London Egerton fol.101
Gotische Harfe geschnarrt, Subbaßblockflöte, Großbaßblockflöte, Triangel, Schellenkranz, Dombak, Soprancornamuse; Gesang: Thomas Schallaböck, Andreas Gutenthaler









Salzburger Ensemble für Alte Musik
Dulamans Vröudenton

Peter Giesmann (Rauter) · Blasinstrumente, Gesang
Andreas Gutenthaler · Zupfinstrumente, Gesang
Martina Noichl · Harfe, Gesang
Thomas Schallaböck · Drehleier, Gesang









"Ze Oesterriche Lernde Ich Singen Unde Sagen"

Walther von der Vogelweide



Minnesänger in Österreich



"Österreich" im Mittelalter

"Österreich" - das meinte um 1200 das Herzogtum Österreich ob und unter der Enns (= Nieder- und Oberösterreich), beherrscht von den Babenbergern. Nach dem Sieg über König Ottokar II. von Böhmen (1278) folgten ihnen dort die Habsburger nach, die dann in der Folgezeit auch angrenzende Länder wie die Herzogtümer Steiermark und Kärnten, die Grafschaft Tirol und die verschiedenen Territorien 'vor dem Arlberg' unter ihre Herrschaft brachten, nicht aber das bis 1805 selbständige Erzbistum Salzburg. Das Gebiet der heutigen Republik Österreich war damals im wesentlichen, mit Ausnahme Vorarlbergs, Teil des großen bairischen Sprachraums, genauer gesagt des Mittel- und Südbairischen ("Bairisch": so schreiben die Sprachhistoriker den Dialekt dieses Raums, um ihn vom späteren "Bayerisch" zu unterscheiden).

Anfänge und erste Höhepunkte der volkssprachigen Literatur, die sich im 12. Jahrhundert in den verschiedenen mittelhochdeutschen Regionalsprachen neu herausbildete, sind im oberdeutschen Sprachraum zu lokalisieren, also in den Regionen des Fränkischen, des Alemannischen und des Bairischen. Einige der herausragenden "Liedermacher" des Mittelalters stammten aus den verschiedenen Territorien, die heute "Österreich" bilden, oder sie verbrachten dort einen wichtigen Teil ihres Künstlerlebens.


"Die Entdeckung der Liebe im Hochmittelalter" - Trobadors, Trouvères, Minnesänger

Ab 1100 hatte sich im lateinisch-westlichen Europa ganz Neues ereignet: Die Intellektuellen und der weltliche Adel begannen sich allmählich für das Leben in der Welt, für die Menschen und deren Beziehungen zu interessieren, nicht mehr nur für das Jenseits und das Reich Gottes. Ausgehend von Süd- und Nordfrankreich bildete sich - neben dem weiterhin wichtigen religiösen Schrifttum, das sich vorwiegend der überregionalen 'Vatersprache' des Latein bediente - eine volkssprachige Literatur in den verschiedenen 'Muttersprachen' heraus, epische Erzählungen (wie z.B. die 'Lieder' von Roland und Kaiser Karls Paladinen, die höfischen Romane um König Artus, die Ritter seiner Tafelrunde und deren Suche nach dem Gral sowie das "Nibelungenlied"); große didaktische Lehrwerke; Theaterstücke zur Belehrung und auch Unterhaltung der Laien - und eine gesungene Lyrik von geradezu unerschöpflicher Formenvielfalt.

Die gesungene Lyrik der okzitanischen Trobadors, der nordfranzösischen Trouvères und der deutschen Minnesänger (wie sie bereits damals genannt wurden) eroberte die Höfe und Städte des 'lateinischen' Europa mit der Gewalt einer neuen Mode. Damals fand statt, was Peter Dinzelbacher die "Entdeckung der Liebe im Hochmittelalter" nennt: Erstmals seit der Liebesdichtung der lateinischen Antike war das weltliche Zentralthema von den Beziehungen der Geschlechter wieder zum Gegenstand von Dichtung und Kunst geworden. In Personalunion von Dichter, Musiker und Vortragendem traten die Autoren (es waren fast ausschließlich Männer, nur in Frankreich gab es einige wenige Trobairitzen) vor ihr höfisches Publikum, und sie sangen von teilweise Utopischem und Revolutionärem: Von Liebe gegen die Regeln der Gesellschaft; von individuellem Glück, von Leidenschaft und Leid - und die erzählenden Dichter propagierten sogar, über dynastische Interessen hinweg, das utopische Ideal der Liebesheirat.

Sie sangen aber nicht nur von Liebe, also von "amor" und "minne", sondern auch von anderen irdischen Angelegenheiten (und insofern ist die mittelhochdeutsche Bezeichnung "Minnesänger" insgesamt etwas zu eng): Vom Bemühen, bei aller Weltlichkeit dennoch ein gottgefälliges Leben zu führen, von den Lastern einer falschen Lebensführung, von politischen Ereignissen und Problemen, und die Sänger thematisierten darüber hinaus auch ihre eigene Existenz als fahrende Künstler und den uralten Gegensatz zwischen Macht und Kunst. Dabei waren die Bereiche des Weltlichen und des Religiösen viel enger ineinander verbunden, als man sich das heute vorzustellen pflegt: Religiöses Erleben beispielsweise wurde in erotischen Bildern beschrieben, die Liebesdichtung pries Frauen wie gottähnliche Wesen, und der gebildete Klerus, der ja oft auch weltliche Macht ausübte, beteiligte sich intensiv an diesen neuen literarischen Spielen, in denen die damaligen führenden Gesellschaftsschichten ihre Selbstbestätigung formulierten, sich repräsentierten - und sich vor allem auch unterhalten ließen. Daß die Sänger und Erzähler dabei immer wieder 'eigentlich' verbotene Dingen zur Sprache sprachen, also Verstöße gegen die offiziellen Normen von Gesellschaft und Kirche, das steigerte den Reiz des Ganzen nur noch.


"Swer des vergaeze, der taete mir leide" - Minnesänger aus und in Österreich

Die Texte von vielen tausend Liedern sind aus dem europäischen Mittelalter, also der Zeit zwischen etwa 1100 und 1500, in Handschriften überliefert. Leider haben sich sehr viel weniger Melodien erhalten, anfangs und im deutschen Sprachraum lange Zeit ausschließlich einstimmig. Ihre heutige Wiederaufführung bietet die Schwierigkeit, daß die mittelalterliche Tradition des improvisierenden, variationsreichen und oft spontanen Musizierens in Europa später von anderen Arten der Musikausübung abgelöst wurde, und daß jene alte Art des Musizierens heute erst wieder erlernt werden muß - etwa in verschiedenen Bereichen der Folklore oder bei den Arabern.

Die erste ganz eindeutig und zuverlässig überlieferte Melodie der mittelhochdeutschen Lyrik ist diejenige zum "Palästinalied" des Walther von der Vogelweide, einem raffinierten Werk der damaligen christlichen Kreuzzugspropaganda (#11). Walther, dessen letzten Lieder aus der Zeit kurz vor 1230 stammen, hat nach eigener Aussage "in Österreich singen und sagen gelernt", und er galt schon seinen Zeitgenossen als die überragende "Anführerin" der höfischen "Nachtigallen" (so die Formulierungen des Gottfried von Straßburg in seinem Tristan-Roman). Was der Bamberger Literaturkenner Hugo von Trimberg um 1300 über Walther sagte, kann für viele Sänger jener Zeit gelten: "Wer ihn vergäße, der kann mir nur leid tun!"

Fast alle Themen und Formen der damaligen Lyrik finden sich in Walthers Texten. Nur wenige Melodien seiner Liebeslieder lassen sich rekonstruieren, und zwar aus dem Französischen, darunter diejenige seines "Lindenlieds" (#2), eines utopischen Männertraums von repressionsfreier Liebe ohne gesellschaftliche Hindernisse (daß es sich dabei um die Liebe eines einfachen Mädchens und nicht einer adligen Dame handelt, steht im Text allerdings nirgends und ist vielleicht nur ein Ausgeburt germanistischer Schreibtischtäter der Moderne ...).

Ein jüngerer Kollege Walthers namens Neidhart, der offenbar lange am Babenberger Hof zu Wien wirkte, brachte dann eine neue und ungemein erfolgreiche Mode auf, nämlich das Kontrastieren zweier gegensätzlicher Gesellschaften: Nämlich der höfischen Welt einerseits (verkörpert unter anderem durch die Figur des "Ritters von Reuental"), und andererseits derjenigen der Ungehobelten und Grobiane, bei ihm symbolisiert von den "Dörpern" auf dem Land; es wird vermutet, daß Neidharts Melodien immer wieder Einflüsse der damaligen Tanzmusik aufgreifen. Eine reiche Überlieferung von Texten und Melodien zeigt die Beliebtheit dieses Sängers (#1, #8).

Im Gegensatz zu Walther und Neidhart war Ulrich von Liechtenstein (? 26.1.1275) kein fahrender Sänger, der von seinen Liedern und deren Vortrag seinen Lebensunterhalt verdienen mußte; er gehörte dem steirischen Adel an, spielte in der Politik seiner Zeit eine bedeutende Rolle, und er ist in die große Gruppe der adligen "Dilettanten-Sänger" (im ursprünglichen, keineswegs negativ gemeinten Wortsinn!) zu rechnen - wenigstens zu einem einzigen seiner 57 erhaltenen Liebeslieder konnte vor kurzem (durch A. H. Touber 1987) eine Melodie rekonstruiert werden, da der Liechtensteiner hier offenbar eine Liedweise aus Frankreich übernahm und neu textete (#12).

Auch die mindestens zweisprachig gebildeten Kleriker (die neben ihrer Muttersprache alle auch Latein beherrschten) übten sich damals in weltlichen Themen. Eine im Jahre 1803 im oberbayerischen Kloster Benediktbeuren gefundene und damals deswegen als "Carmina Burana" (= 'Lieder aus Beuren') getaufte Sammelhandschrift überliefert Lieder von oft ausgelassener Liebe, vom Trinken und Spielen (aber auch 'ernste' Lieder sowie geistliche Spiele), und zwar vorwiegend in mittellateinischer Sprache. Auch hier ist es erst in den letzten Jahrzehnten gelungen, mögliche Melodien zu rekonstruieren - Carl Orff konnte bei seiner erfolgreichen Neuvertonung (1937) noch keine einzige davon kennen (#14, #5).

Wie die "Carmina Burana", die vielleicht im Südtiroler Kloster Neustift gesammelt und aufgeschrieben wurden, so zeigen auch die Lieder des namentlich nicht bekannten Mönch von Salzburg, wie vereinbar Religiöses und höchst Weltliches damals waren. Der unbekannte Mönch war offenbar Hof- dichter bei dem Salzburger Erzbischof Pilgrim II. (1365-1396), und er hat neben sehr erfolgreichen religiösen Liedern (darunter: "Joseph, lieber Joseph mein"), auch höchst sinnliche Liebeslieder verfaßt (#3, #9).

Durch einen glücklichen Zufall hat sich in der Burg der thurgauischen Stadt Dießenhofen (Schweiz; im Mittelalter zu den habsburgischen Vorlanden gehörend), anläßlich von Bauarbeiten im Januar 1904, ein leicht beschädigtes Einzelblatt gefunden, das weitgehend vollständig Texte und Melodien zweier Liebeslieder enthält. Die beiden aus der Zeit um 1400 stammenden Lieder, die 1994 von E. C. Lutz mit umfangreichem Kommentar und zusammen mit einer von Dulamans Vröudenton einge- spielten Kassette ediert wurden, liegen hier erstmals auf CD vor (#6, #7).

Graf Hugo von Montfort (1357-5.4.1423) gehörte dem Hochadel an, und er spielte in seiner Heimat Vorarlberg, in der Schweiz und in der Steiermark eine bedeutende politische Rolle. Seine Lieder, die oft einen Zug ins Selbstquälerische haben, hat er in einer Prachthandschrift sammeln lassen (#4). Daß diese erhalten blieb (heute in der Universitätsbibliothek Heidelberg) ist ebenso ein Glücksfall wie im Falle seines Zeitgenossen Oswald von Wolkenstein (ca. 1377-2.8.1445).

Dieser Angehörige des Südtiroler Landadels, der mit offenbar vehementem Selbstdarstellungsdrang alle Möglichkeiten der damaligen Lyrik ausprobierte, gilt heute als der bedeutendste Lyriker des deutschsprachigen Mittelalters neben Walther von der Vogelweide. Die "Greifenstein-Ballade" (#10) ist ein politisches Lied in eigener Sache: Es feiert einen (allerdings folgenlosen) Sieg der drei Brüder Wolkenstein im Machtkampf zwischen Landadel und dem Tiroler Herzog Friedrich (dem Bauherrn des "Goldenen Dachl" zu Innsbruck).

Wiederum ein fahrender Berufsdichter war der aus Schwaben stammende Michel Beheim (ca.1420 - ca.1475), der unter anderem viele Jahre im Dienste von Habsburger Herrschern stand, unter anderem von Kaiser Friedrich III. Sein umfangreiches Werk ist größtenteils in Handschriften überliefert, die er selbst (aus Geldmangel?) geschrieben hat. Beheims Lied von den "Drei Gesellen", nämlich ein Lied von der Werbung der Dreifaltigkeit um die Gunst Marias, ist ein Beispiel für das zeittypische Ineinander von Religiösem und Weltlichem; der Sänger hat diese Melodie (seine "Hofweise") dementsprechend auch für ganz unterschiedliche Inhalte verwendet (#13).

Ulrich Müller



Postscriptum:

Swer giht daz minne sünde sî,
der sol sich ê bedenken wol.

'Wer sagt, daß Liebe Sünde sei,
der soll zuvor besser nachdenken.'

Walther von der Vogelweide










Meie dîn
Instrumentalmusik wurde im Mittelalter nur in den seltensten Fällen aufgezeichnet, weil man darin keine Notwendigkeit sah. Gute Musiker merkten sich "ihre" Melodien auswendig und verwendeten diese oftmals zu ganz verschiedenartigen Zwecken. So unterlegten sie auch Instrumentalstücke mit Texten und machten diese zu Liedern oder sie beschritten den umgekehrten Weg und ließen einfach den Text eines Liedes weg, um einen Tanz zu erhalten. Letztere Methode kam beim vorliegenden Lied Neidharts zur Anwendung.

Under der linden
Weder die Herkunft noch die Abstammung des bedeutendsten Dichters des deutschen Mittelalters sind bekannt. Aus seinen Liedern wissen wir, daß er ein fahrender Berufssänger war, der viele Jahre am Wiener Hof der Babenberger verbrachte. Aus historischen Quellen läßt sich die Popularität seiner Lieder und deren große politische Bedeutung ablesen.
Neben den rund 140 politischen, religiösen und didaktischen Sangspruchstrophen schrieb Walther auch über 70 mehrstrophige Lieder - überwiegend zum Thema "Liebe", in denen er der Theorie der "Hohen Minne" (Ritter wirbt um die Frau, doch sie darf ihn nicht erhören.) oftmals die Idee der erfüllten Liebe zweier Gleichberechtigter gegenüberstellt.
Ein Mädchen erinnert sich an die herrliche Nacht, die sie verbotenerweise bei Nachtigallengesang mit ihrem Geliebten unter einer Linde verbrachte. Die Gefahren für die Liebenden waren durchaus gegeben: Dem Mädchen drohte der zwangsweise Eintritt ins Kloster, für den Burschen konnte es gar letal enden.

Ich het czu hannt
Wer verbirgt sich hinter dem Pseudonym "Mönch von Salzburg"? Mit Bestimmtheit läßt sich sagen, daß er, der bedeutendste "Dichterkomponist" des deutschen Sprachraumes im 14. Jahrhundert, eine enormen Popularität besaß, denn in über 100 Handschriften sind seine 49 geistlichen und 57 weltlichen Lieder überliefert. War es ein Hofdichter des Salzburger Fürsterzbischofs Pilgrim II. oder gar der Herr Erzbischof selbst? Es wäre nur allzu verständlich, hätte dieser nicht unter eigenem Namen geschrieben, handeln doch einige seiner Lieder von der Liebe.
Ein Ritter beklagt sich darüber, daß sein Jagdfalke, den er so sehr liebte, unerlaubt einer Trappgans nachgeflogen und nicht mehr zurückgekehrt sei. Wegen einer lächerlichen Trappgans wird ihm die Treue gebrochen. So meint der Ritter, er hätte den Falken schärfer beizen müssen, denn nur eine strenge Erziehung erhält die Treue.
Dieses Jagdlied ist natürlich eine Parabel auf die Liebe: Frauen wie Falken brauchen eine strenge Hand! Zumindest glaubten dies die "mittelalterlichen Machos".

Fro welt
Der vorarlbergische Adelige Graf Hugo V. (VIII.) von Montfort-Bregenz machte in der Politik seiner unmittelbaren Heimat, der habsburgischen Schweiz und der Steiermark Karriere, weil er es verstand, seinen habsburgischen Herren erfolgreich zu dienen. In seinen Dichtungen zeigt sich Hugo immer wieder als Moralist, denn neben der Liebe macht er hauptsächlich Didaktisches und Religiöses zu seinem Thema.
Die Trennung von Dichter und Komponist war in dieser Zeit einmalig. Dazu schrieb Hugo in einem seiner Lieder: "Die weysen zu den lieden der han ich nicht gemachen, ich will euch nicht betriegen ... die weysen hat gemachet Burk Mangolt, unser treuer knecht." Dieser war natürlich kein Knecht im heutigen Sinn, sondern ein hoher Beamter unter Hugo von Montfort und mit den Bürgerrechten der Stadt Bregenz ausgestattet.
Im Mittelalter war man es gewohnt mit Gegensätzen - viel krasseren als heute - das alltägliche Leben zu verbringen: Nebeneinander wurde geliebt und gehaßt, geboren und gestorben, gesündigt und gebüßt, gelebt und dem Leben entsagt.
"Frau Welt" tritt immer wieder als literarische Figur der Verkörperung alles Weltlichen, der Freuden und Lustbarkeiten dieses Lebens, der Versuchungen und Sünden auf. Der Mensch ist nun aufgerufendem Locken von "Frau Welt" zu widerstehen und sein Seelenheil zu retten.

Bache bene venies
Die Carmina Burana, eine Sammlung von über 250 Liedern in Latein, Mittelhochdeutsch oder einer Mischung der beiden, wurde wahrscheinlich in einem Kloster in Südtirol, Kärnten oder der Steiermark angefertigt. Neben geistlichen Texten beinhaltet sie - für eine Klosterhandschrift ungewöhnlich? - in der Hauptsache weltliche Themen: Moralisch-Satirisches, Liebeslieder und Trink-, Spieler- und Vagantendichtung. Mit den Methoden der Musikwissenschaft gelang es inzwischen die Originalmelodien einiger Lieder wiederherzustellen. Beim vorliegenden Lied wie auch beim "In taberna" (#14) verwendeten die mittelalterlichen Autoren Melodien des "Danielsspieles" und unterlegten diese mit neuen Texten.
Der Inhalt des Textes - ein Lobgesang auf den Gott des Weines, Bacchus - paßt besonders gut auf den Versuch des vorhergehenden Liedes, der Welt und ihren Freuden abzuschwören. Allein schon die bekannte Melodie könnte beim mittelalterlichen Hörer die Assoziation hervorgerufen haben: Frau Welt trägt mit Hilfe des Weingottes den Sieg davon!

Zart liepster hort
Anfang unseres Jahrhunderts machte man bei Renovierungsarbeiten auf Schloß Dießenhofen (heute in der Schweiz, aber Ende des 14. Jahrhunderts habsburgisches Einflußgebiet, wo Hugo von Montfort Landvogt war!) eine Entdeckung: Unter dem Bretterboden lag ein mittelalterliches Blatt mit zwei Liedern (Reproduktion: siehe Titelbild der CD). Einem Spielmann rutschte es wahrscheinlich während einer Aufführung zwischen die Bretter.
Auf Bitte des Germanistischen Institutes Freiburg/Schweiz erfolgte 1991 durch Dulamans Vröudenton die erste Wiederaufführung der beiden Lieder nach 600 Jahren.
Der Text dieses Liedes ist nach dem typischen Muster der konventionellen, mittelalterlichen Minnelyrik konzipiert. Der Mann unterwirft sich gänzlich seiner Herrin. Nur sie allein kann ihn von seinen Sehnsüchten erlösen und glücklich machen.

Fastnachtslied
Als der Spielmann auf Schloß Dießenhofen sein Unglück bemerkte, versuchte er anscheinend noch, daß Liederblatt aus dem Bretterboden zu ziehen. Der Erfolg war gering: Nur kleine Teile "rettete" er. Beim zweiten Lied fehlen deshalb leider einige Passagen des Textes, die sich nicht mehr einwandfrei erschließen lassen.
Wie das erste Lied behandelt auch das zweite das Thema der Liebe mit hingebungsvollen Worten des Mannes. Die Besonderheit liegt im Detail: Hier wirbt er um eine Tanzpartnerin für die Fastnacht und möchte damit vielleicht auch eine einjährige Liebesbeziehung eingehen. Dieser Brauch hatte zwar keinerlei gesetzliche Grundlagen, aber trotzdem fühlten sich die Liebenden auf ein Jahr gebunden, danach konnte bei Bedarf die Suche und die Werbung erneut beginnen.
Die im Refrain vorkommenden Farben entsprechen der typisch mittelalterlichen Vorliebe für Symbole: "rot" = "brennende Liebe", "schwarz" = "Trauer über Treulosigkeit" und "weiß" = "Hoffnung auf Erhörung".

Der maide muoter
Der wahrscheinlich im Salzburgischen oder angrenzenden Bayrischen Geborene dichtete etwa zwischen 1210 und 1240. Am Wiener Hof des letzten Babenbergers, Herzog Friedrich II. von Österreich, fand er 1230/31 seine endgültige Wirkungsstätte.
Neidharts enorme Popularität als "Liedermacher" wird durch die 55 Melodien und ca. 1500 Strophen, die unter seinem Namen überliefert wurden, bewiesen. Aber nicht alles stammte wirklich von ihm. Es war geradezu eine Mode - auch noch mehr als 100 Jahre nach seinem Tod - Lieder unter seinem Namen zu veröffentlichen und ihnen damit ein Qualtitätssiegel zu verleihen. Auch beim vorliegenden Lied meldeten einige Wissenschaftler Zweifel an Neidharts Urheberschaft an.
Neidharts Vorliebe für Drastisches ist in diesem Lied ansatzweise zu bemerken: In dem Zwiegespräch zwischen Mutter und Tochter entbrennt ein Streit darüber, ob die Tochter schon reif für die Liebe sei. Die Mutter rät von der Liebe ganz ab, denn sie hat die Erfahrung gemacht, daß Ritter Halunken sind, die nur "das Eine" wollen. Doch die Tochter antwortet frech, sie werde sich von der Mutter nicht den Spaß an der Liebe nehmen lassen und Neidharts Geliebte werden. "Tausend Teufel bellen aus dir, verschwinde ins Reuental zu deinem Neidhart", flucht darauf die Mutter.

Pey perlin und pey spangen
Eine weiteres Lied des Mönchs erklingt als Instrumentalstück in des ungewöhnlichen Kombination von Schnarrharfe, Darabuka und Fingerzimbeln. Auf den lyrischen Beginn im typischen Harfenklang, folgen zwei tänzerische Teile, bei denen mit dem Schnarrmechanismus der Harfensaiten und dem variablen Ton der arabischen Tontrommel rhythmische Akzente gesetzt werden.

Nu huss
Der Südtiroler Landadelige Oswald war ein wortgewaltiger Dichter und exzellenter Musiker. Da er überdies in seiner Heimat sowie zeitweise auch im diplomatischen Dienst für König Sigmund eine wichtige Rolle spielte, gibt es sehr viele Informationen über sein Leben und seine weiten Reisen.
Drei Sammelhandschriften enthalten etwa 130 Lieder (mit Melodien!) Deren Themen: Oswalds Reiseabenteuer, Politik und Religiöses. Im Mittelpunkt aber stehen die Sinnenfreuden. Die stark betonte Erotik übernimmt teilweise noch die Tradition der Minnelyrik, jedoch auch Essen und Trinken kommen nicht zu kurz.
Oswalds jahrelanger Streit mit seinem Landesherren, Herzog Friedrich IV. von Tirol (dem Bauherrn des "Goldenen Dachl" zu Innsbruck), war selten von Erfolg gekrönt. Um so größer die Freude, die aus diesem Lied spricht, denn 1423 gelang es Oswald mit seinen Brüdern Michael und Leonhard bei einem Ausfall aus der Burg Greifenstein die Verbündeten des Herzogs in die Flucht zu schlagen.

Palästinalied
"Wes Brot ich eß', des Lied ich sing!" trifft auch auf Walther zu. Sein Talent durch geschickte Schreibweise seine Zuhörer zu manipulieren, war seinen Brotgebern bekannt und teuer, bei seinen Gegner gefürchtet. Wie wirkungsvoll seine Propagandalieder sein konnten, beweist uns der Domherr von Aquileja, Thomasin von Zerklaere, der Walther 1215/16 vorwirft mit der ungerechten Polemik seines Papstliedes "Tausende" beeinflußt zu haben.
Im folgenden Lied stellt sich Walther ganz in den Dienst der Kreuzzugsidee.
Walther propagandistisches Talent ist beim Palästinalied offensichtlich. Obwohl er wahrscheinlich nie nach Jerusalem gelangte, begibt er sich in diesem Lied in die Rolle eines Pilgers, der nach einer religiösen Betrachtung der Geschehnisse im Heiligen Land zum Kreuzzug aufruft.

We warumbe
Dem steirischen Ministerialen Ulrich von Lichtenstein gelang es auf der mittelalterlichen Karriereleiter aufzusteigen: 1222 wurde er Ritter, 1244 Truchseß, 1267 Landesmarschall und Landrichter der Steiermark. Neben der Politik blieb ihm aber noch Zeit eine der außergewöhnlichsten Verserzählungen des Mittelalters zu verfassen, den "Frauendienst". Als Autobiographie stilisiert erzählt er von seinem Bemühen um eine Frau. Die eingefügten 58 Minnelieder gehörten natürlich auch zum "Werbematerial" in Sachen sich verzehrender Sehnsucht.
Viele Textelemente stehen ganz in der Tradition der konventionellen Minnelyrik, aber gerade in den letzten beiden Strophen bringt Ulrich eigene Phantasiebilder als besonders "gelungene Vergleiche":
Auch er wußte, daß Schnee niemals brennen konnte. Will er mit diesen Worten seine wahre Liebe beweisen, oder ist ebenso ein wenig Augenzwinkern mit dabei?
Wenn man bedenkt, daß er im "Frauendienst" auch davon berichtet, aus Liebe das Badewasser der Geliebten getrunken und sich einen Finger abgeschnitten zu haben, um diesen der Angebeteten zu schicken, dann liegt die Auslegung, es sei Satire, sehr nahe.

Wol drey gesellen gut
Obwohl Michel Beheim kein gebürtiger Österreicher ist, darf er in dieser Sammlung nicht fehlen. Seine Reimchronik "Buch von den Wienern", wo er unter anderem autobiographisch von der Belagerung Wiens durch die Türken und der Hofburg durch die Wiener Bürger (!) berichtet, beweisen dieses enge Verhältnis zum Wiener Hof und zu seinem damaligen Förderer Kaiser Friedrich III.
Eine junge Frau wird von einem Jäger, einem Fischer und einem Falkner so verehrt, daß sie sich nicht für einen entscheiden kann - also nimmt sie alle drei. Moral und Anstand des 15. Jahrhunderts erlaubten natürlich eine solche unkonventionelle Lösung nicht. Aber Michel Beheim, dieser dichtende Schelm, läßt die Frau dem erstaunten Publikum eine noch erstaunlichere Erklärung geben:
"Auch die Jungfrau Maria hatte drei Männer: Gott Vater, Gott Sohn und den Heiligen Geist und so kam sie in den Himmel!"

In taberna quando sumus
Beim vorliegenden Trink- und Sauflied wird das Leben in einer mittelalterlichen Taverne sehr drastisch (Wunsch oder Realität?) geschildert, jedoch auf Latein. Die gelehrten Klosterbrüder verstanden den Text und hatten ihren Spaß dabei. Das einfache Volk hingegen, das nur Mittelhochdeutsch sprach, dachte auch bei diesen lateinischen Gesängen nur an heiligmäßige Hymnen.









10.-13. Mai 1997
Domino Tonstudio (Mauerkirchen)

1997   |   Domino 972 772 (CD/MC)



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