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Capella Antiqua Bambergensis - Codex Manesse
I Ciarlatani - Codex Manesse
Der Codex Manesse und seine Geschichte
Der Codex Manesse, auch Große Heidelberger Liederhandschrift genannt,
ist der wichtigste Überlieferungsträger mittelhochdeutscher Lyrik
überhaupt. 140 verschiedenen Dichtern sind insgesamt 5240 Liedstrophen
zugeordnet. Mehr als die Hälfte dessen, was wir von der
Literaturgattung des deutschen Minnesangs kennen, ist ausschließlich
hier überliefert. Als primäres Ordnungsprinzip der Handschrift dient
die ständische Abfolge. Am Anfang stehen von der Anlage her Kaiser und
König, gefolgt von Herzögen, Grafen und Markgrafen. Auf ritterbürtige
Sänger folgen nichtadelige Minnesänger, bürgerliche ‚Meister’ und
titellose Spielleute einfacher Herkunft.
Der Codex Manesse ist eine systematische Sammlung der Liedproduktion
einer ganzen Epoche, des Minnesangs, nachdem diese Kunstform ihren
Höhepunkt längst überschritten hatte. Der Herstellungsprozess setzte zu
Beginn des 14. Jahrhunderts ein und zog sich über drei Jahrzehnte hin.
Die Handschrift ist entstanden als repräsentativ gestaltetes
Sammelbecken aller im deutschsprachigen Südwesten erreichbaren
schriftlichen Überlieferung. Neben Grundstockschreiber und -maler
treten verschiedene Nachtragshände auf, die in erster Linie Partien am
Ende der Handschrift verfertigt haben.
Die Entstehung der Handschrift
Der Codex weist keinerlei Eintragungen auf, die Hinweise auf seine
Entstehung geben. Seit dem 18. Jahrhundert wird dem Liedteil des vor
1340 verstorbenen Johannes Hadlaub große Bedeutung beigemessen. Hadlaub
rühmt in seinen Liedern die Züricher Bürger Rüdiger Manesse (gest.
1304) und seinen Sohn Johannes (gest. 1298) als passionierte Sammler
mittelhochdeutscher Lieder. Es ist anzunehmen, dass es zwischen ihrer
Tätigkeit und dem Beginn der Arbeit an der Manesse einen Zusammenhang
gegeben hat. Auf Zürich weisen aber auch die Schrift und der
Initialschmuck des Codex hin.
Die Auftraggeber der Handschrift ließen die Lieder nach dem
Autorenprinzip ordnen. 137 der 140 Liedersammlungen sind Autorenbilder
vorangestellt. Es handelt sich nicht um Porträts im engeren Sinne, da
die Mehrzahl der Dichter längst verstorben war und keine bildliche
Überlieferung vorlag. Die Form des Autorenbildes geht letztlich auf
antike Quellen zurück. Im Mittelalter sind Propheten- und
Evangelistendarstellungen häufig, die einen schreibenden oder
diktierenden Verfasser zeigen. Auch in der Manesse tauchen häufig
Schriftrollen als Beizeichen des Dichters auf. Er erscheint als Ritter,
trägt Rüstung und Wappen, ist im Kampf, beim Turnier oder bei höfischem
Zeitvertreib zu sehen. Häufig steht die Darstellung als Minnesänger
selbst im Vordergrund, der einen Brief an die Geliebte sendet, voll ihr
einen Kranz erhält oder im Gespräch mit ihr erscheint. Berühmtestes
Bild ist die Darstellung von Walther von der Vogelweide. Die
nachdenkliche Pose der Illustration beschreibt er selbst in seinem
ersten Reichsspruch aus dem Jahr 1198.
Die Geschichte der Handschrift
Nach ihrer Herstellung verliert sich die Spur der Handschrift. Fassen
lässt sie sich erst wieder zum Ende des 16. Jahrhunderts. Der Calvinist
Johann Philipp von Hohensax aus der Gegend des schweizerischen
Rorschach stand ab 1567 in Verbindung mit dem pfälzischen Hof und
amtierte in der Folge zeitweise in dessen Diensten als Rat und Amtmann.
Möglicherweise erwarb er die Handschrift in den siebziger Jahren des
16. Jahrhunderts im heutigen belgischen Raum. Pfalzgraf Friedrich IV.
(1583-1610) konnte nach dem Tode Hohensax 1596 geltend machen, dass die
Handschrift dem Heidelberger Hof gehöre. Ende 1607 kam der Codex
Manesse an den Neckar.
Hier blieb das Werk allerdings nur wenige Jahre. Die calvinistische
Pfalz wurde im Zuge des Dreißigjährigen Kriegs im September 1622 von
Truppen der katholischen Liga erobert. Als Geschenk des Bayernherzogs
ging die weltberühmte Bibliotheca Palatina an den Papst nach Rom. Der
Codex Manesse wird einen anderen Weg genommen haben. Im Oktober 1621
verfügte Kurfürst Friedrich V. (1610-1623), der Winterkönig, vom
niederländischen Exil aus die Sicherung von Archiv und Bibliothek. Von
den Beständen der Bibliothek scheint zumindest der Codex Manesse in
Sicherheit gebracht worden zu sein. Allerdings musste wohl nach seinem
Tode die Witwe, Elisabeth Stuart, neben anderen Kostbarkeiten auch
diesen Schatz aus Geldmangel verkaufen. Jedenfalls tauchte der Codex im
Besitz des Kustos an der königlichen Bibliothek wieder auf, Jacques
Dupuy (gest. 1656). Er vererbte ihn der Institution, an der er
gearbeitet hatte. Hier blieb die Handschrift über 230 Jahre lang.
Die Wiedergewinnung der Handschrift
Zu verdanken ist die Tatsache, dass der Codex Manesse heute wieder der
Universitätsbibliothek Heidelberg gehört, in erster Linie dem in
Heidelberg geborenen Straßburger Buchhändler Karl Ignaz Trübner
(1846-1907). Im Besitz des englischen Lords Ashburnham befanden sich zu
dieser Zeit 166 gestohlene französische Handschriften. Der Lord sah
sich unangenehmer öffentlicher Diskussion ausgesetzt und war daran
interessiert, die Angelegenheit durch Verkauf der Sammlung zu regeln,
womit er Trübner beauftragte. Da die Bibliothèque Nationale in Paris
aus Geldmangel die Sammlung Ashburnham nicht kaufen konnte, schlug
Trübner ihr vor, die Manesse an Deutschland zurückzugeben, das im
Gegenzug die in England lagernden französischen Handschriften ankaufen
und an Frankreich weiterleiten sollte. Am 23. Februar 1888 fand der
Austausch statt. Kaiser Friedrich III. entschied, dass die Manesse
wieder nach Heidelberg gelangen und der Universitätsbibliothek als
Nachfolgerin der Bibliotheca Palatina zu übergeben sei. Unter der
Signatur Cod. Pal. germ. 848 wird sie hier seitdem bewahrt.
Der Zustand der Handschrift
Der Codex Manesse besteht aus 426 Pergamentblättern im Format 25 x 35,5
cm, setzt sich aus 38 Lagen zusammen und wiegt etwa 7 kg. Das bewegte
Schicksal der Handschrift hat seine Spuren vor allem bei den
Illustrationen in Deckfarbenmalerei hinterlassen. Insbesondere der
Anfang, die Miniatur Kaiser Heinrichs, ist durch häufige Nutzung stark
geschädigt. Viele Bildseiten weisen kleinere und größere
Farbabsplitterungen auf. Aber auch die Textpartien zeigen Schäden durch
Tintenfraß, der an manchen Stellen die Schrift weitgehend verblassen
ließ. Heute kann die Handschrift klimakontrolliert gelagert werden, was
die Verschlechterung des Zustands erheblich verlangsamt. Hierzu trägt
aber auch der überaus restriktive Umgang der Universitätsbibliothek mit
der Manesse in der Gegenwart bei. Aus Gründen der Bestandserhaltung
wird das kostbare Stück heute nur noch sehr selten in Form einer
Ausstellung präsentiert.
Dr. Armin Schlechter
Der Kaiser im Codex Manesse
Die erste Miniatur im Codex Manesse zeigt „Keiser Heinrich” (Blatt 6r),
die letzte den „Chanzler” (Blatt 423v), einen wenig bekannten,
möglicherweise alemannischen Dichter. Bei der Zusammenstellung der
Großen Heidelberger Liederhandschrift ordnete man im 14. Jahrhundert
jeweils hinter das Porträt der 138 Dichter ihre Texte. In diesen
Darstellungen entfaltete sich die höfische Repräsentationskultur. Wir
würden heute die Abfolge vielleicht anders gestalten und der
literarischen Qualität Vorrang einräumen. Dabei stünden berühmte
Dichter wie Walther von der Vogelweide oder Hartmann von Aue ganz
vorne. Den Sammlern aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts
bestimmte freilich die ständische Qualität der Sänger die Reihenfolge
der Bilder und Texte. Das Gesamtgefüge entsprang zwar der im 12.
Jahrhundert entwickelten ritterlichen Welt mit ihrem neuen Kultur- und
Tugendsystem. Es ebnete die Rangunterschiede von Kaisern, Königen,
Fürsten, Grafen und Herren im Idealbild des Ritters vordergründig ein.
Aber gleichzeitig organisierte sich die Gesellschaft nach Ständen und
schichtete sich deutlich voneinander ab. In Literatur und Kunst
verbanden sich die Sänger im edlen Wettstreit um die christliche
Religion oder um weibliche Zuneigung. In der politischen und sozialen
Wirklichkeit klafften zwischen einem Kaiser und einem unfreien
Ministerialen dagegen gewaltige Unterschiede.
„Keiser Heinrich” mit seinen drei Minneliedern hatte keine Chance, den
literarischen Nachruhm jener Sänger zu erlangen, die in seiner
Regierungszeit um Geld und Gunst bettelten. Trotzdem dichtete er
Minnelieder, erfüllt von der hohen Sehnsucht nach einer geliebten Dame.
Vielleicht lieh er auch nur einem unbekannten Verfasser, der sich unter
einer höheren Autorität verbergen wollte, seinen kaiserlichen Namen?
Für die Sammler der Bilder und Lieder im Codex Manesse war die
ständische Welt noch in Ordnung. Am Anfang konnte nur der Kaiser
stehen. Trotz mahnender Stimmen hat sich die Forschung längst darauf
geeinigt, in ihm Heinrich VI. (geboren 1165, Kaiser 1191-1197) zu
sehen, den Sohn Kaiser Friedrichs I. Barbarossa (†1190) und den Vater
Kaiser Friedrichs II. (†1250). Dem Kaiserbild folgen drei Könige:
Konradin als „Kunig Chuonrat der Junge” (1252-1268), der letzte
Staufer, der als tragischer Jüngling von 16 Jahren öffentlich auf dem
Markplatz von Neapel hingerichtet wurde (Blatt 7r); König Tyro von
Schotten und sein Sohn Fridebrant, keine Namen von Sängern, sondern
Titel einer epischen Dichtung eines unbekannten Autors (Blatt 8r);
König Wenzel II. von Böhmen (1297-1305, Blatt 10r). Hinter den Kaiser
und die Könige fügte man Herzöge und Markgrafen als Reichsfürsten, dann
(in nicht immer deutlicher Ordnung) Grafen, Markgrafen, Burggrafen und
Herren. Als einziger Jude, durch seinen goldenen Spitzhut
identifiziert, begegnet Süßkind, der Jude von Trimberg (Blatt 355r).
Ganz am Ende stehen Spervogel (Blatt 415v), Boppo (Blatt 418r), der
Litschauer (Blatt 422r) und der Kanzler.
Der dichtende Kaiser am Beginn der Bilderfolge symbolisierte die Spitze
der ritterlichen Ranggesellschaft. Seine Darstellung dient der großen
Magdeburger Ausstellung zum Heiligen Römischen Reich deutscher Nation
im Mittelalter als Titelbild. Die Herrschaft Heinrichs VI. galt der
nationalen Mittelalterforschung als Gipfelpunkt staufischer
Kaiserherrlichkeit: 1169 als Dreijähriger zum Mitkönig gewählt,
erlangte Heinrich zu Pfingsten 1184 auf dem Mainzer Hoftag von seinem
Vater Friedrich Barbarossa die Ritterwürde. Den Zeitgenossen wie den
Nachgeborenen galt dieses Fest als eines der glanzvollsten Ereignisse
des Mittelalters. 1184 wurde auch die Ehe mit der normannischen
Prinzessin Konstanze angebahnt, die Heinrich schließlich das Königreich
Sizilien einbringen sollte. In zwei Unterwerfungszügen 1191 und 1194
vereinigte Heinrich VI. Süditalien mit dem Imperium. Der aus der Ehe
Heinrichs und Konstanzes hervorgehende einzige Sohn Friedrich II.
(*1194) wurde später zum Erben eines in Europa einzigartigen
Herrschaftskomplexes. Auf dem Höhepunkt seiner Macht wollte Heinrich
VI. 1197 einen Kreuzzug zur Befreiung der heiligen Stätten in Palästina
antreten. Kurz vor dem Aufbruch starb er am 28. September 1197 in
Messina. Sein früher Tod stürzte das Reich in lange Kämpfe, die erst
durch den Siegeszug Friedrichs II. ins Land nördlich der Alpen
(1212-1218) beendet wurden.
Der Maler des 14. Jahrhunderts schuf das Erinnerungsbild eines idealen
Kaisers: Heinrich blickt den Betrachter mit weit geöffneten Augen an.
Mit wallenden Locken und Bart, die Krone auf dem Haupt, sitzt er
breitbeinig auf einem Thronsessel, in der rechten Hand das Zepter als
Zeichen seiner Herrschaft, in der linken eine Liederrolle. Zur Rechten
des Körpers steht das Schwert. Zu beiden Seiten des Kopfes sind in
einem Wappenschild der schwarze Adler des Reichs auf goldenem Grund
sowie ein bekrönter Helm mit dem Adler als Helmzier dargestellt. An
diese Bildseite schließen sich die drei unter Heinrichs Namen
überlieferten Minnelieder an. Die Verse haben viele Diskussionen
hervorgerufen. Der Sänger behauptete, ihm sei die angebetete Dame
wichtiger als die eigene Krone. Das mochten moderne Wissenschaftler
einem staufischen Kaiser nicht glauben. Darum stellte man sich die
Entstehung des Lieds allenfalls zu Lebzeiten des kaiserlichen Vaters
vor, vielleicht im Umfeld der Rittererhebung des 19-jährigen von 1184.
Freilich vermischen solche Einwände in unzulässiger Weise Politik und
Minnedichtung. Beide folgten ihren eigenen Maßstäben. Der Codex Manesse
präsentiert Heinrich jedenfalls im Bild als strahlenden Herrscher und
in den Versen als glühenden Liebhaber.
Prof. Dr. Bernd Schneidmüller
Die Macht der Liebe
Die so genannte „höfische Literatur”, die in der zweiten Hälfte des 12.
Jahrhunderts zu blühen begann, gilt in der Literaturwissenschaft als
epochales Novum. Neu war ihre Sprache, denn man dichtete nicht länger
im gelehrten Latein, sondern auf Mittelhochdeutsch. Neu war, dass diese
Kunst nicht mehr in den religiösen Zentren, in Klöstern und an
Bischofssitzen gepflegt wurde, sondern an den Höfen weltlicher Fürsten.
Mäzene, Autoren und Publikum der höfischen Literatur waren Laien. Neu
waren auch die Stoffe und literarischen Gattungen – Heldenepos,
höfischer Roman, Sangspruchdichtung und Minnesang –, in denen sie sich
Ausdruck schaffte.
Das Sammelinteresse der Manesseschen Liederhandschrift war auf die
Lieddichtung beschränkt. Am Beginn des 14. Jahrhunderts, als sich die
klassische Zeit der höfischen Literatur bereits ihrem Ende neigte, trug
sie über 5200 Strophen und 36 Leichs (eine lyrische Großform) zusammen.
Mehr als die Hälfte dieser Texte, die zuvor wohl nur mündlich, auf
Einzelblättern oder in Form von kleineren Repertoires tradiert wurden,
sind nur hier bezeugt. Ohne den Fleiß der Schreiber und das Engagement
ihrer Auftraggeber wären sie heute verloren. Die Aufzeichnung ihrer
Melodien hielten die Züricher Initiatoren dagegen augenscheinlich nicht
für nötig. Sie sind daher oft nur noch im formalen Raffinement der
Lieder, ihrem rhythmischen Satzbau und ihren komplizierten
Reimschemata, zu erahnen.
Die Lieder, die die Schreiber aufs Pergament bannten, spiegeln die
Themenvielfalt mittelhochdeutscher Lyrik wider. Neben religiösen
Inhalten, etwa dem Lobpreis der Jungfrau und Gottesmutter Maria, stehen
didaktische Verse, die sich Moral- und Tugendlehren, der Frage nach dem
rechten Verhalten in der Welt und vor Gott widmen. Und neben
politischer Lyrik, die ihren ersten und nie wieder erklommenen Gipfel
im Oeuvre des Berufsdichters Walther von der Vogelweide erlebte, finden
sich Lieder über die Liebe.
Denn neu war vor allem die Macht der Minne, die sich in der Lyrik wie
in der Epik des 12. und 13. Jahrhunderts Bahn brechen sollte. Das
mittelalterliche Wort minne
mit der Grundbedeutung des karitativen und freundschaftlichen Umgangs
untereinander, wurde nun für die erotische Liebe zwischen Mann und Frau
verwendet. Minnesang betrieben nicht nur professionelle Verseschmiede.
Am Lob der Minne versuchten sich auch hochadlige Persönlichkeiten wie
Kaiser Heinrich VI. oder der Hennebergische Graf Otto von Botenlouben
und einflussreiche Politiker wie der steirische Ministeriale Ulrich von
Liechtenstein.
Unerhört mutet an, was man sich im Kreise höfischer Geselligkeit
vorzutragen pflegte: Im Genre des beliebten „Tageliedes” etwa erwachen
zwei Liebende am Morgen nach einer gemeinsam verbrachten Nacht, die
ersten Sonnenstrahlen und der Gesang der Lerche drohen ihr heimliches
Tête-à-Tête zu beenden. Zwar bleiben Ritter und Dame in allen deutschen
Liedern namenlos. Doch das Sujet war skandalös genug in einer
Gesellschaft, in der der leibliche Erbe Garant für den Fortbestand der
Dynastie war. In ihr durfte ein Seitensprung mit dem Tod der beiden in
flagranti Ertappten geahndet werden.
In der älteren Minnesangforschung suchte man alle überlieferten Texte
der klassischen Periode auf ein ihnen gemeines Konzept der „Hohen
Minne” zu beziehen, das die deutschen Dichter um 1170/80 bei ihren
provenzalischen und altfranzösischen Kollegen kennen gelernt hatten.
Sehnsüchtig gepriesenes Motiv des hohen Sanges ist die vollkommene und
idealisierte Dame, die jedoch in unerreichbare Ferne entrückt scheint.
Selbst lebenslange Liebesdienste, die Bewährung bei Turnieren und
Schlachten in ihrem Namen, die körperliche Kasteiung und der dauerhafte
Liebesschmerz, vor allem aber die ihr zu Ehren vorgetragenen Lieder
bleiben ohne den erhofften Lohn. Dass das Happy End jedenfalls nicht
wie in heutigen Liebesfilmen in der Hochzeit münden kann, zeigt das
Beispiel Ulrichs von Liechtenstein. Denn in seinem mit
autobiographischen Versatzstücken gespickte Roman „Frauendienst” kehrt
er der angebeteten Dame zwischenzeitlich den Rücken, um bei der eigenen
Ehefrau von den Strapazen seiner Turnierfahrt auszuspannen.
Heute hat man die mühsam auf ein einhelliges Bild getrimmte Deutung der
älteren Forschung zugunsten der inhaltlichen Vielfalt der Minnelieder
aufgegeben. Statt dessen richtet man den Blick auf die oft eigen- und
unwilligen Antworten auf das von der „Hohen Minne” geforderte
hoffnungslose Begehren. So kann Walther von der Vogelweide in seinen so
genannten „Mädchenliedern” trotzig die erreichbare Liebeserfüllung mit
der einfachen maget
über den Dienst für die ferne Herrin stellen. Und so treibt sein
Zeitgenosse Neidhart seinen derben Schabernack mit den nach höfischen
Ehren strebenden dörpern, den nach den Rittern schmachtenden Dorfmädchen und frech aufgeputzten Bauernlümmeln.
Die neuere Forschung fragt verstärkt nach den gesellschaftlichen
Funktionen der höfischen Literatur. Sie sieht in ihr ein Medium für die
herrscherliche Repräsentation und die Selbstdeutung der
hochmittelalterlichen Adelsgesellschaft. Wie eng die Liebesdichtung
schichtenspezifischen Vorstellungen verhaftet ist, zeigt bereits ihre
Terminologie. Denn für ihren dienst fordern die Minneritter lôn, es geht ihnen um êre, um gesellschaftliches Ansehen, die Minne beschreiben sie als strît,
als Kampf. Die ihnen nicht nur räumlich, sondern auch ständisch
unerreichbare Dame verkörpert damit den Traum vom sozialen Aufstieg
innerhalb einer durch die Geburt vorherbestimmten Hierarchie.
Das neue ideale Menschenbild, das die höfische Literatur entwarf, ist
das des höfischen Ritters. Mit ihm wandelt sich die eher inferiore
Berufsbezeichnung des „berittenen Kämpfers” zu einem adligen
Standesbegriff mit ethischem Impetus. Der Ritter muss sich im Kampf und
durch geziemendes Verhalten am Hof und in der Gegenwart der Damen, aber
auch durch seine Ausrichtung auf Gott auszeichnen. Die auf die Werte
ihrer Zeit bezogene, hoch artifizielle Kunst des Minnesangs ist damit
unserem modernen Liebesverständnis nur eingeschränkt vergleichbar. Sie
entzieht sich jedem psychologisierenden, auf Einfühlung und
Empfindungstiefe bedachten Zugriff.
Variiert wird vielmehr ein vergleichsweise kleines Repertoire von
festen Motiven, etwa der unwandelbaren Liebe von Kindesbeinen an oder
aber dem Neid und der Feindseligkeit der höfischen Umgebung. Immer
wieder kehren Begriffe wie fröide (höfische Freude und Glück), trûren (Trauer, Liebesschmerz) oder staete
(Beständigkeit, Beharrlichkeit im Liebesdienst). Für plump darf man die
Strophen deshalb jedoch keineswegs halten. Das literarisch versierte
Publikum hat sicher sowohl ihre elaborierte Sprache wie auch die
unerwarteten und geistreichen Wendungen in der Kombination der
überkommenen Topoi goutiert.
Ganz verbietet sich jedenfalls die biographische Lesart, nach der die
Romantiker des 18. Jahrhunderts wie etwa Ludwig Tieck noch von der
literarischen Minneklage auf reales Liebesleid schlossen. Daher lohnt
es nicht, wie bereits Bernd Schneidmüllers Beitrag in diesem Booklet
aufzeigt, nach der geheimnisvollen Schönen zu fahnden, für die der
staufische Kaiser Heinrich VI. in seiner Minnekanzone selbst des
Reiches Krone aufgeben will. Und auch die Gattin Ottos von Botenlouben,
die er auf seiner Palästinareise kennenlernte und die ihrer beider
Hochzeit gegen anderslautende Heiratspläne ihrer Familie durchsetzte,
hatte keinen Grund zur Eifersucht. Sie musste wohl kaum die Konkurrenz
vom Rhein fürchten, die das unter Ottos Namen in der Manesseschen
Liederhandschrift überlieferte Kreuzlied besingt.
Dipl. Germ. Carla Meyer
Der Weg einer Handschrift auf CD
Um einer möglichst großen Leserschaft den ungehinderten Zugang zu solch
einem fragilen Buch wie dem Codex Manesse zu erlauben, wurde eine
digitale Fassung erstellt. Dazu bedarf es prinzipiell dreier Dinge: 1.
des sorgfältigen und schonungsvollen Umgangs mit dem Original, 2. des
notwendigen Equipments und 3. des dazugehörigen Know-hows.
In der hauseigenen Digitalisierungswerkstatt der Universitätsbibliothek
Heidelberg wird zu diesem Zweck ein mit einer hochauflösenden
Digitalkamera ausgestatteter Kameratisch „Grazer Modell” eingesetzt.
Dieser speziell zur Digitalisierung von Handschriften entwickelte
Kameratisch ermöglicht durch seine Konstruktion eine kontaktlose
Direktdigitalisierung fragiler Objekte auf äußerst buchschonende Weise.
Das Buch wird mit Hilfe eines Laserstrahls exakt positioniert, das
aufgeschlagene Blatt jeweils durch den milden Sog einer
Unterdruckeinrichtung fixiert. Durch eine spezielle Konstruktion schaut
dabei die Kamera immer im rechten Winkel auf das Blatt, so dass auch
Verzerrungen bei der Aufnahme minimiert werden können. Ein manueller
Kontakt des Bearbeiters mit der Handschrift ist immer nur zum
Umblättern erforderlich – den Rest erledigt die Halte- und
Saugvorrichtung des Buchtischs.
Nach der Aufnahme aller Seiten werden die digitalen Images in das dem
technischen Standard für die Langzeitarchivierung entsprechende
TIFF-Format umgewandelt und mittels professioneller
Bildbearbeitungssoftware so nachbearbeitet, dass Farb-, Helligkeits-,
Kontrast- und Schärfegrad weitestmöglich dem Original entsprechen. Der
Rest ist das Zusammenspiel geeigneter Computerprogramme: zur
Präsentation einer Handschrift im WWW wird durch sogenanntes
„elektronisches Binden” das Präsentationsmodell eines virtuellen Buches
erstellt, welches man auf einfache Weise durchblättern kann und in dem
mit Hilfe der Zoom-Funktion die Betrachtung einzelner Details in
verschiedenen Vergrößerungsstufen möglich ist. Zur Produktion einer CD-
bzw. DVD-Fassung werden die Bilddateien mit einem auf handelsüblichen
PC-Systemen lauffähigen Programm so verknüpft, dass ebenfalls das Buch
virtuell wieder entsteht.
Dr. Thomas Wolf