GOMBERT. Masses
/ Beauty Farm
[8.10.2020]
frabernardo.com |
medieval.org
Fra Bernardo 200 5329 • 2 CDs
2020
release: November 2020
beauty farm
Bart Uvyn [countertenor]
Adriaan De Koster | Tomáš Lajtkep | Achim Schulz | Tore Tom Denys | Hannes Wagner [tenor]
Julián Millán | Philipp Kaven [bariton]
Joachim Höchbauer [bass]
fb 2005329
2 CD
total time c 145 min.
EAN 4260307433291
TO BE RELEASED IN NOVEMBER 2020
Nicolas Gombert (c 1495 – c 1560)
A
Missa A la Incoronation a 5
Media vita a 6
Missa Media vita a 5
B
Missa Philomena praevia a 5
Beati omnes a 5
Missa Beati omnes a 4
Radikale Umschwünge lassen sich in der Musikgeschichte immer
wieder beobachten: Stile, Gattungen, Techniken ändern sich
fundamental oder werden ganz durch Neues verdrängt. So viel etwa
Carl Philipp Emanuel Bach bei seinem Vater Johann Sebastian nach
eigener Aussage gelernt hat, so wenig ähnelt seine musikalische
Sprache der des Thomaskantors. So viel Beethoven Mozarts Sonatenform
und Haydns motivisch-thematischer Arbeit verdankte, sein Tonfall und
seine Syntax sind doch unverkennbar neu. Und so weiter: Evolution und
Revolution, Verpflichtung an das Erbe und Aufbruch zu neuen Ufern sind
oft eng miteinander verknüpft, Wandlungen von Mentalitäten
und gesellschaftliche Umbrüche spiegeln sich in ästhetischen
Generationskonflikten wider.
So sind auch die in sich vielfältigen Innovationen der
großen Komponistengeneration um 1500 – verbunden mit Namen
wie Jakob Obrecht, Josquin Desprez, Pierre de la Rue, Heinrich Isaac,
Antoine Brumel, Jean Mouton – von ihren Nachfolgern zugleich
fortgesetzt und negiert worden. Obwohl auch Komponisten wie Adrian
Willaert, Jean Richafort, Jacquet von Mantua, Cristóbal de
Morales, Nicolas Gombert oder die ein wenig jüngeren Clemens non
Papa, Cipriano de Rore oder Thomas Crecquillon sicherlich mit den
Leistungen ihrer Vorgänger vertraut waren und in ihren
Frühwerken auch teils deutlich daran anknüpften, entwickelten
sie doch rasch eine abweichende Ästhetik. Oft zitiert, aber auch
hier unentbehrlich sind die Sätze eines kompetenten Beobachters
dieser Entwicklung, des Komponisten und Musiktheoretikers Hermann
Finck. In seinem Lehrwerk Practica Musica, erschienen 1556, schrieb
Finck: „Damals nämlich [das heißt vom Jahr 1480 an]
blühte Josquin Desprez, der wahrhaftig der Vater der Musiker
genannt werden kann, dem vieles zuzuschreiben ist: Er war nämlich
vielen an Subtilität und Lieblichkeit überlegen, doch ist er
in seiner Kompositionsart nackter, das heißt, obwohl er im
Erfinden von Nachahmungen überaus scharfsinnig ist, verwendet er
dennoch viele Pausen. … In unserer Zeit aber gibt es neue
Erfinder, unter denen sich Nicolas Gombert befindet, Schüler des
Josquin seligen Angedenkens, der allen Musikern die Richtung zeigt, ja
sogar den rechten Weg, um Nachahmungen und Subtilitäten zu
erfinden, und er ist der Erfinder einer von den Früheren ganz
unterschiedlichen Musik. Dieser nämlich vermeidet die Pausen, und
seine Kompositionsart ist voller Zusammenklänge wie auch
Nachahmungen.“[1]
Knapp, aber scharf und treffend ist diese Charakteristik, wie wir noch
sehen werden. Bemerkenswert erscheint zunächst zweierlei: Zum
einen nennt Finck Gombert den Schüler Josquins, zum anderen aber
benennt er im gleichen Satz die tiefgreifenden stilistischen
Unterschiede zwischen beiden Komponisten. „Schüler“
(discipulus) ist in diesem Zusammenhang also nicht als Metapher einer
stilistischen Nachfolge gemeint, sondern muss wohl wörtlich,
biographisch verstanden werden: Nicolas Gombert ist vermutlich in der
kleinen Siedlung La Gorgue geboren worden, wo der Name Gombert bis
heute verbreitet ist. La Gorgue (heute im französischen
Département Nord in der Region Hauts-de-France) liegt von
Condé-sur-l’Escaut, wo Josquin von 1504 bis zu seinem Tod
1521 lebte, nur etwa 65 Kilometer Luftlinie entfernt. Dass der junge
Gombert als Chorknabe an der Kollegiatkirche von Condé, der
Josquin als Probst vorstand, das Singen, Improvisieren und vielleicht
auch Komponieren von dem älteren Meister gelernt hat, ist somit
ein attraktives, wenn auch nicht mehr dokumentierbares Szenario.
Jedenfalls sieht Finck beide als die wichtigsten Komponisten ihrer Zeit.
Ansonsten sind wir über die frühen Jahre Gomberts nicht
informiert; die Annahme eines Geburtsdatums um 1495 beruht auf
Spekulation. Erst 1526 erscheint er auf der Bildfläche: als
Sänger in einer der wichtigsten Hofkapellen der damaligen Zeit, im
Dienste von Kaiser Karl V. Da sich Karl in diesem Jahr durchgängig
in Spanien aufhielt, muss Gombert wohl von einem musikalischen Agenten
in Frankreich oder Italien rekrutiert worden sein, was heißt,
dass er bereits einen gewissen Ruf hatte. In der Tat liegt die
Vermutung nahe, dass seine kompositorischen Qualitäten ihn
für die Tätigkeit in der kaiserlichen Kapelle empfohlen
hatten, denn auch wenn er niemals Kapellmeister wurde, war er doch bald
der inoffizielle Hofkomponist geworden. Gleich 1526 könnte er
für die Hochzeit Karls mit Isabella von Portugal am 10. März
in Sevilla die Motette Veni electa mea komponiert haben; allerdings ist
das Stück anderswo unter dem Namen Jacquets von Mantua
überliefert.[2] 1527 komponierte er Dicite in magni für die
Geburt von Karls Sohn Philipp (dem späteren Philipp II.). 1531
schuf er Felix Austriae domus zur Krönung von Karls Bruder
Ferdinand I. zum römischen König (Ferdinand übernahm die
Verwaltung des Reichs in Mitteleuropa), und 1533 Qui colis Ausoniam
für ein Bündnis zwischen dem Kaiser, Papst Clemens VII. und
anderen italienischen Herrschern in Bologna.
Angesichts dieser wichtigen Daten wäre es kaum vorstellbar, wenn
Gombert zu dem zentralen politischen Ereignis dieser Jahre, der
offiziellen Wahl und Krönung Karls V. zum Kaiser des Heiligen
Römischen Reiches durch den Papst (1530), musikalisch nichts
beigetragen hätte. In der Tat gibt es eine Messe von ihm, die von
dem Verleger Girolamo Scotto 1542 als Missa de la Incoronation
bezeichnet wurde, als Krönungsmesse mithin. Aber der eigentlich
treffende Titel des Werks ist Missa Sur tous regretz. Das Stück
ist nämlich, wie fast alle Messen Gomberts, eine sogenannte
Parodiemesse. Es nimmt eine präexistente Komposition, in diesem
Fall die Chanson Sur tous regretz seines etwas älteren
Generationskollegen Jean Richafort, als musikalische Materialbasis.[3]
Bei näherem Hinsehen erweist sich allerdings diese Chanson als
eine recht eigentümliche Wahl für eine Krönungsmesse.
Sie gehört der um 1500 populären melancholischen Mode der
„Regretz“-Chansons an, und Richafort hat sicher eines der
melancholischsten geschrieben: Die Oberstimme scheint sich oft
motivisch unabhängig von den tieferen in ihren eigenen Gedanken
und Fiorituren zu verlieren, und am Ende kehrt in Tenor und Bass der
Beginn wieder, als hätten die Überlegungen zu nichts
geführt (Gombert sollte diesen formalen Rückgriff in sein
Gloria übernehmen). Tatsächlich aber scheint der Text dieser
Chanson eine Parodie zu sein: „Car j’ai perdu
l’amiable liqueur /que tant je plains et plaindrai en ample
heure.“ (Denn ich habe die liebliche Flüssigkeit verloren,
sodass ich weine und lange weiterweinen werde.) Auch wenn
„liqueur“ im Französisch des 16. Jahrhunderts generell
„Flüsssigkeit“ bedeutete, ist wohl klar, um welche Art
von Getränken es sich hier handelte … Hätte sich Karl
V. tatsächlich eine solche Chanson als feierliche Grundlage seiner
Krönung gewünscht?
Falls die Messe tatsächlich 1530 entstanden sein sollte, wäre
sie eines der frühesten erhaltenen Werke Gomberts (gedruckt wurde
sie erst 1542; die Messen Quam pulchra es und Da pacem waren 1532 die
ersten publizierten). Tatsächlich zeigt sie einige
Eigentümlichkeiten, die sich beim reiferen Gombert nicht mehr
finden, unter anderem eine Neigung zu Ostinati, also in kurzen
Abständen wiederholten musikalischen Phrasen. Man kann etwa zu
Beginn des letzten Kyrie gut hören, wie oft das eingangs vom
Sopran intonierte Motiv in dieser und den anderen Stimmen wiederkehrt
(es durchzieht auch andere Sätzen, etwa das „Deum de
deo“ des Credo). Im Credo sticht das dreifach wiederholte
Sopran-Motiv auf „Jesum Christum“, „filium
Dei“, „filium Dei unigenite“ heraus, zudem auch die
tieferen Stimmen ihre Motive wiederholen. Für Gombert
ungewöhnlich scharf geschnitten ist auch der Abschnitt im
Tripelmetrum ab „Confiteor unum baptisma“. Derartige
überschaubare Gliederungen sind noch ein Erbteil der
Josquin-Generation, ebenso die geringstimmigen und stark imitativen
Passagen des dreistimmigen Crucifixus und Pleni und des zweistimmigen
Benedictus; und im auf sechs Stimmen ausgeweiteten Schluss-Agnus
zitiert Gombert die Oberstimme der Vorlage im Sopran vollständig,
ein traditionelles Verfahren, das er später nicht mehr anwandte.
Die übrigen drei Messen und ihre Vorlagen sind (noch) stärker
dem Ideal verpflichtet, das Finck mit seinen Bemerkungen über die
fehlenden Pausen, den daraus resultierenden reicheren Klang und die
engen Imitationen bei Gombert skizziert hat. Damit ist Gomberts Stil
gut gekennzeichnet: Er ist voll dicht verwobener, fast pausenloser
Imitationen oder Nachahmungen einer Stimme durch die anderen in relativ
regelmäßig dahinfließenden Rhythmus, wobei Gombert
selten ganz exakte Nachahmungen schreibt, sondern die Motive in den
einzelnen Stimmen bewusst variiert. So homogen seine gerne in tiefen
Tonlagen gehaltenen und oft von scharfen Dissonanzen geprägten
Werke auf die Hörer wirken, innen gleichen sie einem
labyrinthischen Mosaik aus ähnlichen, aber fast nie gleichen
Gliedern. Denn Gombert liebt das Asymmetrische, Ungenaue,
Unvorhersehbare. Und er liebt den ununterbrochenen Fluss: Kadenzen,
sonst der Anlass innezuhalten, werden durch den Einsatz eines neuen
Imitationsmotivs überspielt und überlagert, selbst nach der
Schlusskadenz scheint das Stück eher zu verklingen als zu enden.
Auch die Textdarstellung ordnet sich diesem Strömen unter;
emphatisch hervorgehobene oder gar klanglich expressiv aufgeladene
Textpassagen finden sich bei ihm kaum.
Man könnte den Gesamteindruck mit dem Musiktheoretiker Giovanni
Maria Artusi als „richezza d’harmonia“ bezeichnen
oder, mit einem Ausdruck der Popmusikgeschichte des 20. Jahrhunderts,
als „wall of sound“ – eine Wand aus dichtem Klang,
der freilich ununterbrochen in sich fluktuiert.[4]Damit ist, und das
dürfte der wichtigste Unterschied zur Generation um 1500 sein, ein
in sich konsequenter Stil geschaffen, der alle Werke des reifen Gombert
sofort erkennbar macht. Keine Messe Josquins gleicht in ihrer Anlage
ganz einer anderen; aber alle Messen Gomberts sind von den
beschriebenen stilistischen Verfahren durchgängig geprägt.
Die sechsstimmige Motette „Media in vita“ mit ihrer
Meditation über die Allgegenwärtigkeit des Todes weist zudem
durch die Dichte der tiefen Stimmen einen düsteren, schweren Klang
auf, der für die Ästhetik Gomberts typisch ist; die Motette
beruht auf der gleichnamigen Antiphon, sodass sich die Motive sich an
den typischen, oft schrittweise voranschreitenden gregorianischen
Floskeln orientieren. In der Messe über dieses Werk wird diese
gleichsam „anonyme“ Motivik frei entwickelt; bald verlieren
die Hörer die Orientierung, ob hier noch ein Bezug zu der
ursprünglichen Vorlage oder nur eine ähnlich klingende
Bildung vorliegt. Dieser von Gombert bewusst kalkulierte
Unschärfeneffekt wird durch den fast völlig vorherrschenden
gleichmäßigen Rhythmus unterstrichen, wodurch im Credo schon
der Sprung ins Dreiermetrum bei „Et unam sanctam catholicam
ecclesiam“ zum Ereignis wird. Das letzte Agnus erklingt auf die
Sechsstimmigkeit der Motette erweitert und wird damit zum klanglich
imposanten Abschluss. Bemerkenswert häufig tritt in dieser Messe
ein Manierismus Gomberts auf: Bei Kadenzbildungen erklingt der
erhöhte Leitton, der zum Grundton zurückführt (z. B.
cis) zugleich mit seiner natürlichen Stufe in einer anderen Stimme
(z. B. c), ein schneidender Effekt „linearen“ Kontrapunkts.
Es liegt verführerisch nahe, den düsteren Ton dieser Messe,
der auch in anderen Werken Gomberts, etwa Chansons, zu spüren ist,
mit dem wohl verstörendsten Ereignis in der Biographie des
Komponisten in Verbindung zu bringen. Ab 1529 war Gombert maître
des enfants, also Erzieher der Chorknaben in Karls Kapelle, doch um
1540 verschwindet sein Name plötzlich aus den Akten. Lange Zeit
stand die Forschung vor einem Rätsel, bis in den Schriften des
Mediziners und Gelehrten Girolamo Cardano (1501–1576) der Bericht
entdeckt wurde, Gombert hätte einen Chorknaben vergewaltigt und
sei dafür auf die Galeeren verbannt worden, allerdings nur in
Fußketten, also wohl ohne Ruderdienst. Cardano merkt auch an,
dass ein anderer Komponist, Dominique Phinot, für vergleichbare
Vergehen enthauptet und verbrannt worden sei. Gombert hingegen konnte
sich nach Cardanos Bericht durch „Schwanengesänge“
(cygneas … cantiones) wieder die Gunst des Kaisers erwerben und
sich auf eine Pfründe (vermutlich ein Kanonikat in Tournai)
zurückziehen, wo er den Rest seines Lebens still verbrachte.[5]
Als diesen Schwanengesang hatte man lange die späten
Magnificat-Kompositionen angesehen; einer neueren These zufolge handelt
es sich hier jedoch um Gomberts erstes im Druck erschienenes
Motettenbuch zu vier Stimmen (Venedig 1539).[6]
Einen freudigeren Ton schlagen die Motette „Beati omnes“
und die darauf beruhende vierstimmige Messe an. Das dürfte mit dem
Text des Psalms zusammenhängen, der die Freuden der Ehe beschreibt
(„Deine Frau wird sein wie ein fruchtbarer Weinstock drinnen in
deinem Hause, deine Kinder wie junge Ölbäume um deinen Tisch
her“, übersetzte Luther). Dieser Psalm wurde gerne –
etwa von Ludwig Senfl – für Hochzeitsfeierlichkeiten
komponiert, und ein solcher Anlass läge auch hier nahe. Der Modus
der Motette – mixolydisch– ist unserem Dur zumindest
verwandt,[7] und die von Dreiklängen und Quartauftakten
geprägten, also fanfarenhaften Motive evozieren eine festliche
Stimmung, die im abschließenden Agnus zur Fünfstimmigkeit
erweitert wird. Wie oft in Parodiemessen fällt auf, dass Gombert
sich hier von einem vergleichsweise engen Bezug zur Vorlage zu Beginn
allmählich entfernt und in Sanctus und Agnus das
Eröffnungsmotiv nach Art einer Fantasie mit neuen Kontrapunkten
versieht.
Mit dem letzten Werk kehren wir wieder zu einer (scheinbar) weltlichen
Vorlage zurück, ebenfalls von Jean Richafort geschrieben: der
Motette Philomena praevia. Als sich 1549 der Erzpriester der Santa Casa
von Loreto, Bernardino Cirillo, über den Brauch erregte, Vorlagen
wie L’homme armé, Hercules Dux Ferrarie oder eben
Philomena praevia für Messen zu gebrauchen, tat er dies aus der
Perspektive der Gegenreformation: „Was zum Teufel hat die Messe
mit dem bewaffneten Mann zu tun, oder mit Philomena, oder mit dem
Herzog von Ferrara? […] Bei der Liebe Gottes, sagt mir, welche
frommen Gefühle der Herzog von Ferrara erregen kann?“[8]
Cirillo war die tiefe Verflochtenheit von geistlichen und weltlichen
Motiven in der europäischen Kultur fremd geworden, und aus dieser
Perspektive kritisierte er nicht nur Werke Josquins und anderer,
sondern auch seiner direkten Zeitgenossen. Mit „Philomena“
spielt er offenbar auf die Parodiemessen über Richaforts Philomena
praevia an, neben jener von Gombert gibt es auch solche Messen von
Claudin de Sermisy und Philippe Verdelot (sowie eine vierte, vielleicht
irrtümlich ebenfalls Verdelot zugeschriebene Messe).
Hier irrte Cirillo allerdings in seiner Kritik, denn diese Motette
beruht keineswegs auf einem weltlichen Text. „Philomena“
ist keine der zahlreichen jungen Damen, die in der Renaissancemusik
besungen werden, sie ist auch nicht einfach die Nachtigall, als die sie
im Text erscheint. Richafort hat hier das Gedicht „Philomena,
praevia temporis amoeni“ des mittelenglischen Mystikers John
Pecham vertont, das auch dem heiligen Bonaventura zugeschrieben wurde,
und das die Heilsgeschichte in den liturgischen Ablauf eines einzelnen
Tages hineinliest. Die Nachtigall war eben auch ein Christus-Symbol.
Freilich vertonte Richafort nur die ersten, eher pastoralen als
religiösen Zeilen.
Der Vergleich gerade dieses Stücks mit Gomberts Parodiemesse ist
höchst interessant. Wo Richafort die Ode an die Nachtigall durch
klar geschnittene Imitationsmotive in durchsichtiger Satzweise und mit
deutlicher Abschnittsbildung vorträgt, da greift Gombert dieses
Material nur auf, um es seinem eigenen Stilideal anzupassen. Zu Beginn
von Richaforts Motette schimmert noch das alte Modell „paariger
Stimmführung“ der Josquin-Generation durch: Zuerst setzen
die beiden tiefen Stimmen ein, dann werden ihre Motive (wenn auch nicht
ganz notengetreu) von den beiden oberen übernommen.
Anschließend setzt das nächste Motiv ein: eine klare und
durchsichtige Textur mit vielen Pausen, also „nackt“, wie
Finck gesagt hätte. Bei Gombert hingegen wird schon im ersten
Kyrie der Klang fast sofort verdichtet; bereits im vierten Takt wird
die Vierstimmigkeit erreicht und fast durchweg sind in der Folge vier
oder alle fünf Stimmen aktiv; das zweite Motiv klingt in die
Kadenz hinein und so weiter. Die Vorlage wird dem eigenen Stil
anverwandelt. Es war die dadurch erzeugte „richezza
dell’harmonia“, das Ideal eines vollen, homogenen Klangs,
mit dem Gombert den Komponisten seiner Zeit, wie Finck sagte, den
rechten Pfad wies. Noch nachhaltig erfolgreicher in dieser Propagierung
eines einheitlichen Stils sollte sich eine Generation später
wiederum Giovanni Pierluigi da Palestrina erweisen.
Wolfgang Fuhrmann
[1] H. Finck, Practica musica, Wittenberg 1556, fol. Aijr:
„Floruit tunc etiam Iosquinus de Pratis, qui uere pater Musicorum
dici potest, cui multum est attribuendum: antecellit enim multis in
subtilitate & suavitate, sed in compositione nudior, hoc est,
quamvis in inueniendis fugis est acutissimus, utitur tamen multis
pausis. […] Nostro verò tempore noui sunt inuentores, in
quibus est Nicolaus Gombert, Iosquini piae memoriae discipulus, qui
omnibus Musicis ostendit viam, imò semitam ad quaerendas fugas
ac subtilitatem, ac est author Musices plane diuersae à
superiori. Is enim vitat pausas, & illius compositio est plena
cùm concordantiarum tùm fugarum.“
[2] Vgl. Owen Rees, Rees, Guerrero’s ›L’homme
armé‹ Masses and Their Models, in: Early Music History 12
(1993), S. 19–54, v.a. 48f. und 51–54.
[3] Zu den Parodiemessen von Gombert siehe grundsätzlich Jakob
Hauschildt, Studien zu den Parodiemessen des Nicolas Gombert, Diss.
Universität Kiel 2006.
[4] Giovanni Maria Artusi, L’arte del contraponto, Venedig 1598, S. 36. https://de.wikipedia.org/wiki/Wall_of_Sound
[5] Clement A. Miller, Jerome Cardan on Gombert, Phinot, and Carpentras, in: Musical Quarterly 58 (1972), S. 412–419.
[6] Alan Lewis, Nicolas Gombert’s First Book of Four-Voice
Motets: Anthology or Apologia?, in: Francis Maes (hg.), The Empire
Resounds: Music in the Days of Charles V., Leuven 1999, S. 47–62.
[7] Hauschildt, Studien, S. 66–76, konstatiert Anklänge an
die Psalmformel des achten Modus (hypomixolydisch), argumentiert aber
insgesamt für den siebten (mixolydisch).
[8] Cirillos Brief wurde oft zitiert, vgl. beispielsweise Andrew
Kirkman, The Cultural Life of the Early Polyphonic Mass: Medieval
Context to Modern Revival, Cambridge (Cambridge University Press) 2010,
S. 316.
[8.10.2020]
medieval.org Remarks
http://www.medieval.org/emfaq/cds/remarks.html
22 December 2020
Todd M. McComb
———
Beauty
Farm embarked on their recording career with two double albums devoted
to Gombert (motets), and now return for a new double album of Gombert Masses.
This was after The Sound and the Fury had begun their discography with
two Gombert albums as well, so someone around Mauerbach must be a
serious Gombert fan.
In
fact, the liner notes for this issue — not to mention the
interpretations themselves — go some way toward positioning
Gombert's music as a sort of inflection point in the (musical) history
from the earlier Franco-Flemish polyphony heading into the so-called
Palestrina style: The continuous "flows" Gombert achieves — in
terms of seemingly endless overlapping lines — turn into the
sparser lines of the Palestrina generation once "preparation of
dissonance" (not specifically mentioned in the notes) is injected into
the conception... the inflection thus taking us from the "most
dissonant" Franco-Flemish polyphony "straight" to the "least" (or
rather, the canonical style). One might characterize this step into the
Counter-Reformation as the final blurrings of analogism (cf. Descola)
— & I suggest listening to Gombert's extensions as a sort of
blur (i.e. into the later "uniform style")....
And
Gombert's masses do show us this inflection most clearly, particularly
in this superb new reading, as they take the "flowing" style to greater
lengths (although the more enigmatic "Coronation Mass" is in a more
hybrid/older style...). That's how it ends up feeling, though, greater
lengths: There are also two motets included in this set, and they're
brilliant pieces, but e.g. the Missa Media vita seems much like a thrashing out of the stunning motet Media vita...
a ponderous, ongoing dilution, if I may. Not that these masses are
unappealing, but they're basically elaborations of the jewels of the
motets, without many new ideas. This release also suggests a new start
for Beauty Farm, i.e. by returning to Gombert?
On
that count, I'd say this is their best rendition yet, with new editions
prepared for them, and continuing attention to the recorded sound: I've
tried not to get too involved with sound issues, but they can be a
factor in this music, particularly in terms of balancing the directness
of the voices with the haze of architectural resonance. And Beauty
Farm's recordings have tweaked things along this continuum, perhaps
moving to "too immediate" at times (although I still prefer that to the
most distant, hazy renditions elsewhere...), but here they strike an
excellent audio balance. Everything comes off that much more
confidently too, clearly articulated & well-paced. The result might
even be described as sensual. And so I very much hope that they bring
these resources to a Josquin anniversary project....
[30.12.2020]